Volltext: Vom Ausklang der Schlacht bei Limanowa-Łapanów bis zur Einnahme von Brest-Litowsk 2 : Das Kriegsjahr 1915 1 [Textbd.] (2 : Das Kriegsjahr 1915 ; 1 ; [Textbd.] ;)

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Der Karpathenwinter 1914/15 
nicht aber noch Holz fällen und Bretter sägen. Die für die Arbeit hinter der Front zur 
Verfügung stehenden Arbeiterabteilungen waren wieder durch die täglich wachsende Last 
der Instandhaltung von Straßen und Wegen, die heute meterhoch verschneit, morgen 
vereist, übermorgen durch plötzlich hereingebrochenes Tauwetter überschwemmt und 
grundlos aufgeweicht waren, derart in Anspruch genommen, daß schließlich zu ihrer 
Unterstützung sogar doch noch Kampftruppen aus der Front gezogen werden mußten, 
sollten sie nicht selbst verhungern oder durch Munitionsmangel wehrlos werden. Daß 
eine der ohnehin spärlichen Reserven wirklich Ruhe genoß oder gar unter Dach kam, 
war lange nicht erlebt worden. So steigerte das Elend sich selbst in grausamem Wech¬ 
selspiel; in der Front bannte es die Soldaten im Kampfe fest, sabotierte mit den stei¬ 
genden Verlusten auch die Möglichkeit der Ablösung und Erholung und trieb damit erst 
recht wieder die Verluste zu neuen Rekordziffern; gleichzeitig hinderte es hinter der 
Front jede der Bequemlichkeit und Rétablierung dienende Tätigkeit. All dies wurde noch 
verschlimmert durch die von Haus aus elenden Nachschubsverhältnisse. Die Bahnen 
waren im ungarisch-galizischen Grenzgebiet überhaupt äußerst spärlich und sehr wenig 
leistungsfähig *) und reichten für die Bedürfnisse der jetzt hier angestauten großen 
Heereskörper bei weitem nicht aus ; das Straßennetz war gleichfalls viel zu weitmaschig 
und von äußerst minderwertiger Beschaffenheit, so daß es den plötzlich riesenhaft ge¬ 
steigerten Anforderungen absolut nicht standhielt. Andere Wege aber waren in dem 
menschenarmen Waldgebirge nur in geringer Zahl und primitivster Qualität vorhanden. 
So kam es, daß wiederholt ganze Korps plötzlich und auf mehrere Tage ohne jede 
brauchbare Kommunikation im Rücken dastanden; man braucht gar nicht Militär zu 
sein, um die Folgen zu ermessen. 
Daß all das physische Elend schließlich auch dem moralischen Niedergang die Wege 
ebnete, kann nicht wundernehmen. Man darf nicht vergessen, daß die Armee nicht mehr 
die alte war, sondern schon ein mehr weniger improvisierter „Armeeersatz". Die mit 
den Marschformationen neu einlangenden Ersätze konnten zudem meist gar nicht an 
ihre zuständigen Truppenkörper geleitet und eingereiht, sondern mußten, wie sie kamen, 
als selbständige taktische Einheiten eingesetzt werden, was sich natürlich nicht bewährte, 
aber der taktischen Lage nach nicht zu vermeiden war. Und mit diesen Marschforma¬ 
tionen kam auch, und das ist das Verhängnisvollste, zuerst der Defaitismus und die po¬ 
litische Unverläßlichkeit gewisser Hinterlandsschichten in die Front. Zu allererst bei 
den Tschechen; es war noch im Karpathenwinter, als das Prager Hausregiment Nr. 28 sich 
„ohne einen Schuß von einem feindlichen Bataillon aus der Stellung abholen ließ". 
Auch bei rumänischen Truppen wurden verräterische Umtriebe bemerkbar; es ist er¬ 
wiesen, daß siebenbürgische Popen den einrückenden Rekruten den Eid abgenommen 
hatten, bei erster Gelegenheit zum Feinde überzugehen. Parallel damit lief die inten¬ 
sivste Propagandatätigkeit des Gegners. Es ist nicht zu leugnen, daß die Russen es besser 
hatten. Ihre bedeutend größere Zahl ermöglichte häufige Ablösung und Rétabli erung ; 
auch waren sie besser verpflegt und bekleidet, ihre Intendanz funktionierte tadellos .... 
und die weitgehenden Hoffnungen, die man unsererseits auf ihre in früheren Zeiten 
bewährte Korruption gesetzt hatte, erfüllten sich ganz und gar nicht. Die gesamte ein¬ 
geborene Bauernbevölkerung stand, durch eine ebenso geschickte wie umfassende Propa¬ 
ganda gewonnen, fast einmütig auf russischer Seite und leistete das äußerste in Spionage. 
Eine Ausnahme bildeten nur die Juden : sie spionierten gleichmäßig für beide Teile. .«. 
x) Vgl. Beilage 3 von Bd. I.
	        
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