Volltext: Das Antlitz des Weltkrieges

Ernst Jünger ~ Das Antlitz des Weltkrieges 
seinen Aufenthalt im gefährlichen Raume auszudehnen und sich dicht vor den 
Mündungen der Gewehre und in Wurfweite der Handgranaten aufzurichten, um 
die Hindernisse zu übersteigen oder Gasien durch fie zu brechen. 
Die Vorbereitung des Angriffes mußte daher bald eine Wucht gewinnen, von 
der man sich im Frieden noch keine Vorstellung gemacht hatte. Dies drückte sich 
vor allem in der Steigerung des Artilleriefeuers aus, das sich bereits in den ersten 
Monaten des Krieges noch durch den Einsatz von Minenwerfern und anderen, 
auf kurze Entfernungen wirkenden Waffen verstärkte. Ferner wurde sowohl die 
Wirkung des Feuers wie die des menschlichen Angriffes noch dadmch summiert, 
daß sie sich nicht mehr auf die Breite erstreckte, sondern an bestimmten Orten über¬ 
wältigend zusammengefaßt wurde. 
Zn bezug auf die angreifende Mannschaft stellte sich heraus, daß die körperlichen, 
geistigen und moralischen Eigenschaften, die der erste Einbruch in einen so stark 
gerüsteten und verschanzten Gegner erforderte, weit über den Durchschnitt der 
Leistung hinausgingen, der in einem Mafsenheere vom einzelnen erwartet werden 
konnte. Die Überwindung solcher Schrecknisse, wie sie dieser erste und entscheidende 
Teil des Angriffes dem kämpfenden Menschen entgegenstellte, mußte einer aus¬ 
gesuchten Schar von Sturmsoldaten übertragen werden. Ihr lag es ob, die Bahn 
zu brechen und den Stein ins Rollen zu bringen. 
An diesen zeitlichen, räumlichen und persönlichen Bedingungen bildete sich der 
Stoßtrupp in seiner Eigenart heraus. Aus dem Heereskörper schieden sich kleine 
ausgesuchte Verbände, die imstande waren, das feindliche Feuer blitzschnell zu 
unterlaufen, an die Wirkung der eigenen Feuermaschinen sofort den Einsatz der 
menschlichen Kraft zu schließen und auf engem Raume geschlossen in die verteidigte 
Stellung zu stoßen, um sie auseinanderzureißen. Um uns ein Bild zu machen, 
wie sich die Tätigkeit dieser Verbände in der Wirklichkeit abspielte, müssen wir 
uns zur Stunde des Angriffes aus eine der großen, beschossenen Ebenen Nord- 
frankreichs versetzen, auf denen sich unter jahrelangen Kämpfen das Schicksal des 
Krieges entschied. 
Wir befinden uns in einer scheinbar menschenleeren Einöde, auf der wie in 
einer vulkanischen Landschaft seit Tagen die Sprengkegel unzähliger Geschosse 
steigen und fallen und in deren Weite der Donner der Abschüffe und Explosionen 
so zur Gewohnheit geworden ist, daß ihn das Ohr kaum noch vernimmt. Weit im 
Gelände verstreut arbeiten die Artillerien der beiden Heere wohlverborgen gegen- 
einander an, es ist, als ob diese Arbeit von einer Raturkrast geleistet würde, die 
sich den Augen des Betrachtenden verbirgt. Ebenso öde und verlaßen wie das 
Land ringsumher liegen die Gräben unter den Wolken von Geschoßqualm und 
Staub, ihre Aufwürfe heben sich vom Boden ab wie ein eng aneinandergeflochtenes 
Retz, so daß die schmale Grenze des Niemandslandes kaum zu erkennen ist. Sie 
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