Volltext: Das Antlitz des Weltkrieges

Ernst Jünger ~ Das Antlitz des Weltkrieges 
Zimmer zu betreten. Der Stuhl wurde uns im Namen der Ortskommandantur 
durch ihn als notwendiges Inventar des Zimmers zugesprochen. Und da sahen 
wir denn, daß Mut und Mut, Furcht und Furcht ganz verschiedene Dinge sein 
konnten. Wir bekamen sogar für ein paar Tage fast so etwas wie Respekt vor der 
Etappe. — Eine der seltsamsten Quartiernächte verbrachte ich in Galizien. Es 
war bitter kalt, und die Kameraden froren zur Nacht in ihren unheizbaren Quar¬ 
tieren. Da quartierte ich mich denn kurzerhand im engen aber warmen Kuhstall 
ein — wo eine wirkliche Kuh meine Schlafgenoffin wurde. Nur ein paarmal 
mußte ich mich vor den Küffen meiner temperamentvollen Kuh retten. Aber dieses: 
die weiche und kühle Kuhschnauze ein paarmal im Gesicht zu spüren, war auch der 
einzige Übelstand dieser Nacht. Heilfroh aber war der Panje, als er am Morgen 
-die Kuh noch am Leben fand. Ich hatte meinen Kopf auf einen Kleiesack 
gebettet, und der Panje war in Todesangst, daß ich seiner Kuh von der Kleie zu 
fressen geben könnte. 
In einem Quartier nahe Courtrai erlebte ich es auf frappierende Art, wie aus¬ 
gedehnt und wohlfunktionierend das feindliche Spionagesystem doch war. Wir 
lagen in jenem Orte einquartiert — von den großen Strapazen der großen 
Offensivschlacht einigermaßen wieder erholt und zum Stoß auf den die Apern- 
stellung beherrschenden Kemmel bereitgestellt, den wir denn auch eine Woche 
später nahmen. Der Kemmel war gewißermaßen mein Schicksalsberg: im Oktober 
1914 versuchten wir ihn zu nehmen — vergeblich! — Dies war mein erstes Gefecht 
überhaupt; nun im Mai 1918 glückte — also vier Jahre später — der Sturm; der 
Kemmel wurde (wenigstens vorübergehend) unser — und dies war mein letztes 
Gefecht zugleich. Meine Quartierwirtin aber sagte mir täglich: „Den Kemmel 
kriegt ihr nicht, denn wenn ihr den kriegt, ist England verloren!" Wir bekamen 
ihn zwar doch-aber verloren war England leider nicht_Eines Vormittags 
überraschte mich meine Quartierwirtin mit der Nachricht: „Heute morgen ist euer 
Richthofen abgeschossen!" Ich war bestürzt über die Sicherheit, mit der sie das 
vorbrachte, und eilte zu meinem Freunde, der Gerichts- und Nachrichtenoffizier der 
Division war. Der lachte mich aus, rief aber dann doch sicherheitshalber beim 
Armeeoberkommando an. Da auch dort nur gelächelt wurde über solch ein 
Latrinengerücht, war ich denn ganz beruhigt und sagte meiner Quartierwirtin 
nur ironisch: da sei wohl der Wunsch der Vater des Gedankens. Sie aber blieb 
hartnäckig bei ihrer Behauptung und: was sie wisse, wisse sie! Zwei Tage später 
rief mich mein Freund von der Division aus an und bestätigte mir, daß Richt- 
hosen an jenem Morgen tatsächlich im Arrasgebiet abgeschoffen sei. And das 
Armeeoberkommando wußte es nicht!-Aber die belgische Bevölkerung, die 
uns mit höflichem Haß behandelte, hörte „das Gras" wachsen. 
92
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.