Volltext: Das Antlitz des Weltkrieges

Ernst Jünger ~ Das Antlitz des Weltkrieges 
der Nacht die Verbindung zum Bataillonsstab „unterbrochen" bleibe. Am Morgen 
ist die Leitung wieder „geflickt", und der liebe alte Herr teilt mir nun ausgiebig 
seine Sorgen über bestimmt nahe bevorstehende englische Tankangriffe mit. Wieder 
muß ich an Goethes berühmten „Götz" denken. Nun wird auf englische Art 
gefrühstückt und die ist bestimmt ergiebiger als die karge deutsche Art, die aus Brot 
mit Marmelade bestand oder mit Leberwurst, die sich auch zu zwei Dritteln noch 
aus geriebener Semmel zusammensetzte (und woraus noch erst setzte sich damals 
geriebene Semmel zusammen!?). Doch ich werde beim Frühstück gestört; ein 
Hauptmann der benachbarten Gardedivifion wünscht mich zu sprechen. Ich knöpfe 
Rock und Kragen zu und erscheine auf der Treppe, wo mir mit scharfer Kommando¬ 
stimme und kategorisch erklärt wird, ich müffe die Unterstände sofort räumen, 
sie gehörten zum Nachbarabschnitte. Ich erwidere „gehorsamst", daß ich diese 
Unterstände mit Wissen und Willen meines Regiments innehabe, von dem ich 
auch einzig Befehle entgegenzunehmen gewohnt sei. Mit diesen Worten trete 
ich den Rückzug in meinen bedrohten Unterstand — immer die Front nach dem 
„Feinde" — an, begebe mich an meinen „Frühstückstisch" und laffe den verblüfften 
Gardehäuptling stehen. Ich höre nur noch ein scharfes „Unerhört!" — und weiß 
nicht, wie es zugeht, daß mir zum dritten Male an diesem Morgen mein ge¬ 
liebter Berlichingen in den Sinn kommt! Kaum habe ich gefrühstückt, da werde 
ich auch schon wieder an den Hörer gerufen. Der angebliche Tankangrifs soll 
wirklich nahe bevorstehen. Nun wenn schon! — Soll er! — Von mir aus! — Ich 
kann doch schließlich nicht den ganzen Tag dem goetheschen Drama widmen — 
und also begebe ich mich auf Wanderschaft — überall dorthin, wo es keine Telefon¬ 
strippen und Gardehäuptlinge gibt — mit einem Worte also: möglichst weit 
nach vorn. Ich besuche meine inzwischen abgelöste Feldwache und revidiere den 
zweiten Unterstand. Doch damit nicht genug — es find ja schließlich alles Leute 
mir fremder Kompanien, deren absolute Zuverlässigkeit ich noch nicht genügend 
erproben konnte, und ein Führer will das Bewußtsein absoluter Zu¬ 
verlässigkeit besitzen — und schließlich liegt mir nun allmählich doch das ewige 
Tank-Geschwätz im Sinn und ist mir auf die Nerven gefallen. Ich entschließe 
mich also zu einem Probealarm des in diesem Unterstände liegenden Zuges, und 
der Erfolg gibt dieser Vorsichtsmaßnahme und damit leider beinahe auch den 
telefonischen Ermahnungen des „Alten" recht: ich schlage an das vor dem Unter¬ 
stand angebrachte Gong, ich brülle „Alarm" — drunten rührt sich nichts, nur 
vereinzeltes Fluchen wird vernehmbar, nur ein paar Gestalten bewegen sich 
aus der Tiefe herauf. Wenn nun nicht Probe-, sondern wirklicher Alarm 
wäre?! Die Truppe — auch diese beste der Erde! — ist durch zehn zer¬ 
mürbende Kampftage — und was für Kampftage! — am Ende ihrer Kraft 
und Disziplin. Was tut der Führer in solchem Augenblicke?! Nachdem ich noch 
ein paarmal an das Gong geschlagen, noch ein paarmal „Alarm" in den 
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