Volltext: Das Antlitz des Weltkrieges

Ernst Jünger ~ Das Antlitz des Weltkrieges 
schon zwei zusammengelegte Kompanien umfaßt, da das Bataillon ja nur noch zwei 
Offiziere vorn besitzt, noch weiter schwächen und den dritten Zug rechts zurück¬ 
gestaffelt folgen lassen. Doch hinter meiner Kompanie folgt noch gottlob eine 
Maschinengewehrkompanie, die ich die so völlig entblößte Flanke der Division 
vor bösen Überraschungen zu schützen bitte. Wie nötig diese Vorsicht, zeigt sich 
bald. Wie wir etwa eine Viertelstunde vorgegangen find unter geringem Feuer 
des sich planmäßig auf Vucqoy zurückziehenden Tommy, führt etwa dreihundert 
Meter in meiner Flanke eine Batterie auf und beginnt abzuprotzen. Ich starre 
im Vorgehen durchs Glas und denke wie der selige Schelmuffski: „Hol mir der 
Deubel!" — das find doch flache Helme. Ein Kommando — und das Maschinen¬ 
gewehr ist in Stellung gebracht. Auch die nachfolgende Maschinengewehrkompanie 
hat den unverschämten Tommy entdeckt, und nun wird er von den vereinigten 
Maschinengewehren aufs Korn und unter Kreuzfeuer genommen. Und im Hand¬ 
umdrehen hat die Batterie auch wieder angespannt und jagt mit verhängten Zügeln 
auf Vucqoy zu. Die gefallenen Pferde werden in voller Fahrt von der Leine ge¬ 
schnitten_Achiet le Petit wird ohne stärkeren Widerstand des Tommy genommen. 
Die Stimmung der Truppe ist vorzüglich. Der Vormarsch erinnert an die besten 
Zeiten in Galizien und läßt die Herzen wieder hoffen (noch einmal!) und höher 
schlagen. In einer Vlechbaracke in Achiet le Petit überrasche ich zwei Tommys 
beim-Kakaokochen. Sie starren mich wie ein Gespenst an; der Rückzug der 
Ihren war unbemerkt von ihnen vor sich gegangen. Den beiden wird bedeutet, sich 
zum Gefangenensammelplatz zu begeben; aber den Kakao müssen sie uns schon 
kaffen. Er tut uns mehr not, die wir solcher Leckereien so lange entwöhnt. Die 
zahlreichen Lebensmittel, die auch hier wieder beim Vormarsch erbeutet werden, 
heben die Stimmung der Truppe nur noch mehr, wie unsere Leute denn auch nicht 
genug immer wieder staunen können über die Reichtümer, über die der Tommy 
in Ausrüstung und in Lebensmitteln verfügt. Diese Gummimäntel, dieses Schuh- 
und Lederzeug! In diesen Tagen erleben wir es am frappantesten, wie arm wir 
doch waren! — an diesem gewiß doch nicht einmal übermäßigen Reichtum ge- 
meffen. In diesen Tagen erleben wir es denn auch am frappantesten, wie reich 
wir doch waren — — in einem freilich ganz anderen und höheren Sinne, daß 
wir diesen gewaltigen und so reichen Gegner zu schlagen vermochten. Wodurch? 
— Ja wodurch wohl!? — 
In einer Baracke finde ich eine Konservenbüchse voll-flüssiger Schokolade. 
Im Vorgehen bohre ich sie an. And da uns während des ganzen Marsches eine 
Staffel en-glischer Flieger treulich begleitet wie den Ibikus das Heer der Kraniche, 
so muß sich das Auge außer nach vorn und in die bedrohte Flanke auch alle 
Augenblick nach oben kehren, um nicht durch einen Eiersegen überrascht zu werden. 
Jeden dieser Augenblicke des Hochschauens benutze ich listig, die Konservenbüchse 
an die Lippen zu setzen und im Weitergehen die köstliche Schokolade zu schlürfen. 
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