Ernst Jünger ~ Das Antlitz des Weltkrieges
einzudringen und dort Fuß zu faßen, da wurde er auch mit Handgranaten und
Bajonett wieder vertrieben. Es war nur eine kurze energische Kraftprobe des
gewaltigen Gegners gewesen, dessen waren wir uns alle wohl bewußt — und
auch, daß es nur ein Auftakt und Vorspiel gewesen. Es hieß nun also, doppelt
wachsam sein. Die Vataillonsreserve wurde zurückgestaffelt in die Lücke zwischen
dem linken Waldrande und der in die Schlucht links vom Walde beim ersten
Vorgehen abgeschwenkten Kompanie eingesetzt. Nun mochte der Tommy kommen!
— und er kam denn auch — — und machte alle Vorsichtsmaßnahmen zuschanden!
In der Morgenfrühe wurde der Kompanieführer durch einen plötzlichen ungemein
heftigen Feuerüberfall der leichten englischen Batterien aus dem Schlafe geweckt.
Zuerst drehte er sich noch, verärgert über diese lächerliche, gar nicht ernst zu
nehmende Störung, auf die andere Seite. Doch allmählich wurde das Heulen der
Schrapnells wirklich eklig, und hörte er da nicht auch Gewehrgeknatter?! Plötz-
lich ganz wach, sprang er auf, aus dem Loche heraus und eilte die zwanzig Meter
vor zu seiner Kompanie und-traute seinen Augen nicht: die Kompanie lag,
ohne daß ihn in augenblicklicher Kopflosigkeit ein Mensch benachrichtigt hatte,
bereits in heftigstem Feuerkampfe — aus dem Waldrande aber kamen mit un¬
heimlicher Langsamkeit, Stetigkeit und Anbeirrbarkeit — Gestalt gewordenes
Schicksal und Verhängnis — vier stählerne Ungeheuer auf die Kompanie an¬
gewalzt: T a n k s!! I Der Führer — seine Toilette vervollständigend, seinen
Rock zuknöpfend, nach Helm, Stock, Pistolengurt rufend, brüllte seine Befehle
in die Kompanie hinein. In einer, zwei Minuten wurde alles umgruppiert,
denn die Größe des Desasters stellte sich ja nun erst heraus. Der Führer der ganz
links eingesetzten Reservekompanie kam atemlos angestürzt und berichtete, daß
der Tommy bei der Nachbardivision links beim Morgengrauen durchgebrochen
und nun der gesamte hintere Waldrand — im Rücken des Regiments! — von
englischen Schützenlinien besetzt sei. Dies wurde alles atemlos stehend vorgebracht,
der Kompanieführer nahm es fast nur unterbewußt auf, denn sein Bewußtsein
war auf die näher und immer näher sich gewissermaßen heranwindenden Tanks
gerichtet und — während sein Kamerad berichtete, brüllte er: „Nur Stahlmunition
gegen Tanks! — tief — in den Motor halten!" — Der Kamerad berichtete weiter:
wie er vor Minuten — gleichfalls aus dem Schlafe geweckt sei — durch einen
Tommy, der ihm auf die Schulter geklopft und ihm Armbanduhr und C. K. I
abverlangt habe. Er sei dann gefangen abgeführt, habe aber den ihn nach hinten
führenden Tommy mit einem Gewehre — einem toten Deutschen entrissen —
über den Haufen schießen können, bevor der Tommy zum Schuß gelangt sei. Nun
sei er hierher geflüchtet, seine Kompanie aber restlos gefangen. Der junge
Kompanieführer sah sich nun also nach diesem Berichte vor folgender Situation.
Im Rücken saß der Tommy in Schützenlinie, links gähnte eine große Lücke, da die
Anschlußkompanie gefangen und der Durchbruch ja auch links erfolgt war, von
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