Volltext: Das Antlitz des Weltkrieges

Ernst Jünger ~ Das Antlitz des Weltkrieges 
kompanien — nicht minder betroffen — bei ihm an der Keilspitze der Stellung zu¬ 
sammenkommen, um den Angriff — diesen selbstmörderischen—zu besprechen, kann 
er ihnen als der dienst- und altersjüngste einen Plan unterbreiten, eines Odysseus 
würdig, nur daß die Spitze dieses Planes sich zunächst nicht gegen den Gegner 
drüben wendet, sondern gegen den Feind dahinten, der, von Sachkenntnis nicht 
getrübt, diesen Befehl ausgeheckt hat. Zunächst überrascht der junge Führer 
seine Kameraden durch die Frage, ob sie die zahlreichen Toten und Verwun¬ 
deten des Tages bereits gemeldet hätten, und als dies verneint war, durch die 
Antwort: Das sei gut und vortrefflich. Dann teilt er den absonderlichsten 
Angriffsplan mit, der zunächst nichts anderes war als eine ungeheuerliche Um- 
gehung des ergangenen Befehls, den es irgendwie auszuführen, zugleich aber 
unschädlich zu machen gilt. (Diese Vefehlsumgehung wirkte sich dann aber beim 
Gegner als eine Kriegslist aus, wie sie seltsamer in der Geschichte des Krieges 
nicht berichtet ist.) Nach Erledigung einzelner Einwände entfernen sich die 
anderen Kompanieführer schmunzelnd, die Parolen an die Unterführer werden 
ausgegeben, und selten sah ein bevorstehender Angriff noch fröhlichere, aufgeräum¬ 
tere Gesichter als dieser. Punkt Mitternacht setzt das deutsche Artilleriefeuer ein, 
das sich gottlob mit irgendeiner Reservestellung beschäftigt, der Tommy fährt 
aus seinem Schlummer hoch, und Leuchtkugel über Leuchtkugel sucht die Ursache 
dieser mitternächtigen Beschießung zu erkunden. Als aber die Viertelstunde um 
ist und die letzte vorgeschriebene Granate verschossen, begibt sich das Seltsame: 
aus den deutschen Gewehren und Maschinengewehren geht ein mörderisches Feuer 
auf die englische Linie, Handgranaten fliegen hinüber, herüber, und aus hundert 
und aberhundert Kehlen bricht ein heiseres, ein heiteres Hurra! — und-alles 
bleibt in seinen Löchern! Immer verzweifelter feuern drüben die Lewisgewehre, 
immer angstvoller steigen die Leuchtkugeln hoch: was doch will dieser Teufels¬ 
spuk bedeuten?! Nach zwanzig Minuten, die denen drüben eine Ewigkeit 
erschienen sein mochten, verstummt Feuer und Gebrüll — es wird seltsam still 
im Walde nach diesem Mitternachtsspuk. Der Führer aber meldet schmunzelnd, 
daß der Angriff abgeschlagen sei, sowie die Verluste der Kompanie an Toten 
und Verwundeten, die — amTage zahlreich entstanden und noch nicht gemeldet 
waren. 
Nach derselben „Schlüsselzahl" meldeten auch die Nachbarkompanien — und 
Nacht und Schlummer senkte sich aus Freund und Feind. Doch es geschehen 
noch Zeichen und Wunder. Beim Morgengrauen meldet ein Posten der 
Feldwache dem Leutnant, daß es drüben sehr lebhaft zugegangen, nun 
aber herrsche ein doppelt verdächtiges Schweigen. Der Führer folgt in 
den vordersten Graben und wirft dem Tommy eine Handgranate zum 
Morgengruß hinüber, die drüben detoniert — dann Schweigen. Eine zweite 
Handgranate folgt — und wieder Schweigen. An der Spitze einer mit 
50
	        
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