Volltext: Das Antlitz des Weltkrieges

Ernst Jünger ~ Das Antlitz des Weltkrieges 
dauernd über dem Trichtergelände kreisen und mit ihren bösen Augen — den 
Kreisen auf ihren Tragflächen — wie vorsintflutliche Riesenraubvögel herab¬ 
stieren und ihre Beobachtungen mit dem ekelhaft gleichen Getute ihrer Artillerie 
signalisieren — ein Geräusch, wie es unsere Telephone von sich geben, wenn die 
gewünschte Verbindung „besetzt" ist. So ist es auch hier: „Besetzt! — Besetzt! — 
Die Trichter im Geländestreifen *3:2) find besetzt!" — und die Artillerie läßt dann 
auch nicht lange auf sich warten. Man haßt den Tag wegen der Flieger, die Nacht 
wegen der Kälte, denn es geht auf den November. Unsere Stellung — wenn 
man da von Stellung schon sprechen will — verläuft längs der Förderbahn, die 
der Tommy natürlich wie seine Westentasche kennt! — scheußlich! Als ich sie 
bezog, meldete mir der Fähnrich, daß sein Zug die vorgeschriebenen Trichter be¬ 
setzt habe. Wie ich in der Dämmerung die Stellung abschreite, bleibt mir das 
Herz fast stehen: in einem Trichter fitzen sechs Mann einer Maschinengewehr- 
gruppe beim Kartenspiel, lassen sich durch mich gar nicht stören, behalten die 
Karten ganz respektwidrig in den Händen und fitzen nur so widerwärtig still. 
Alle tot! Unverletzt, nur durch den Luftdruck einer Granate getötet. Noch zu 
unseren Vorgängern dieser Stellung gehörig und uns unbegraben hinterlassen. 
Ich schnauze den Fähnrich gehörig an, er entschuldigt sich, er sei ebenso erschrocken 
gewesen und wollte diesen Schreck nur weitergeben. Aber ich verstehe keinen 
Spaß und ordne die sofortige Beerdigung an. Tote find kein Kinderschreck, und 
— „es ist nicht gut, daß die Guillotine zu lachen anfängt" — wie Georg Büchner 
im „Danton" sagt. Den ersten Toten hatten wir auf absonderliche Art: ein 
junger Hüne vom ersten Zuge stand am Bunker Posten, das heißt, er stand in 
einer engen Vetontonne, die über mannshoch war, nach vorn mit Stahlvisier und 
nur nach oben seltsamerweise offen. In diese Tonne hatte eine Granate hinein¬ 
gelangt und aus einem hochgewachsenen Menschen einen Fleisch- und Blut- 
klumpen gemacht, den die Kameraden abgewendeten Gesichtes und nur mit den 
Fingerspitzen anfassend herauszogen und in den nächsten Trichter warfen. — Im 
Trichter gräbt man sich in die dem Feinde zugekehrte Lehmwand eine Mulde, in 
die man sich hineinkauert, um gegen Splitterwirkung etwas geschützter zu sein. 
Doch schon bei ganz nahe einschlagenden Granaten, also gerade denen, vor deren 
Splittern man sich schützen will, streckt man den Kopf aus der Mulde halb heraus, 
um nicht durch eine auf Deckung aufsetzende Granate abgequetscht-ver¬ 
schüttet zu werden. Verschüttet zu werden ist sehr gefürchtet, die gefürchtetste 
Art der Verwundung wie des Todes. And das ist das besonders Zermürbende, 
diese Beschäftigung der Gedanken bei jeder nahen Granate: Verschüttung oder 
Granatsplitter — was beliebt?! In diesem Dilemma, das -im Magen ein Ge¬ 
fühl hervorruft, als säße man in einer Luftschaukel, versteht man ganz gut des 
Doktor Martinus Luthers Ausruf, als ihn ein heftiges Gewitter aus der Land¬ 
straße überraschte: „Hilf, Maria, und ich will ein Christ werden!" Am vier 
32
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.