Volltext: Das Antlitz des Weltkrieges

Trommelfeuer 
Seelenkraft allmählich unterhöhlten, weshalb denn auch ein erfahrener Führer 
den scheinbar so unsinnigen Befehl des Gewehr- und Seitengewehrputzens erließ, 
einzig um für Beschäftigung zu sorgen, um der Truppe den zermürbenden 
Gedanken an das Zerstampftwerden des eigenen Ich zu entziehen. 
Es reizt mich, einmal einen Vergleich mit dem Schachspiele zu wagen. Das jetzt 
auf den Gipfel geführte moderne Positionsspiel entspricht im blutigen Ernstfälle 
unseren Stellungskämpfen, die also im Geiste des Schachspielers vorgeahnt und 
vorweggenommen und behandelt find. Ziel solches Positionsspieles ist es, mit 
dem möglich geringsten Verluste von Steinen einen unmerklichen Vorteil 
zu erzielen, der aber doch zum Gewinn der jeweiligen Partie genügt; ganz anders 
dagegen ist es beim Angriffs- und Verteidigungsspiele, beim Kombinationsspiele, 
das dem Bewegungskriege ähnelt: da fallen die Steine nur so, und „unter glän¬ 
zenden Opfern" wird die feindliche Stellung genommen. Das Positionsspiel 
aber ist es, das die größere Nerven- und Gehirnkraft verbraucht, während beim 
Kombinationsspiele die Gegner „in Feuer" find. 
Interessant ist es nun, die Befähigung unserer Kriegsgegner zum Vewegungs- 
oder Stellungskriege aus der Erinnerung zu überprüfen. Der Ruffe war ein 
idealer Soldat des Rückzuges, aber am wenigsten befähigt zum Stellungskrieger, 
am wenigsten befähigt zum Ertragen des Trommelfeuers. Im Sommer 1915 
trommelten wir auf die ruffische Stellung an der Strypa (was man damals schon 
„Trommeln" nannte!). Rach drei Stunden setzte unser Angriff ein, und — die 
Russen kamen uns in Scharen mit hochgehobenen Händen entgegen — viele noch 
weinend unter der Nachwirkung unseres Artilleriefeuers. Die Materialschlacht 
verbraucht eben ungeheure Mengen von Nerven- und Widerstandskraft, und der 
Ruffe war ja auch der erste, dessen seelische und Nervenkräfte in diesem Kriege 
zusammenbrachen. Welch ein verschlagener Meister dagegen des Rückzuges! 
Wir verfolgten an der Strypa den unter Einwirkung unseres überlegenen 
Artilleriefeuers zurückgehenden Ruffen. Abends endlich setzte er sich in einer 
bereits vorhandenen Ausnahmestellung fest, und wir blieben dreihundert Meter 
vor seiner Stellung im Freien liegen und übernachteten dort. Für sechs Uhr 
morgens war der Weiterangrifs anbefohlen. Die ganze Nacht über schoffen in 
geringen Zeitabständen die ruffischen Maschinengewehre, streuten das Gelände 
ab und behinderten unsere Bewegungsfreiheit empfindlich. Als wir morgens ohne 
Artillerievorbereitung gegen die russische Stellung vorstießen, fiel kein Schuß: 
der Graben war leer bis auf ein paar geschickt aus die ausgedehnte Stellung ver¬ 
teilte Maschinengewehrschühen, die eigens zum Zwecke der Beunruhigung wie 
hauptsächlich, um vorzutäuschen, daß der Ruffe noch die Stellung hielte, dort 
zurückgelaffen waren. Das Gros der Ruffen aber war die ganze Nacht über 
zurückmarschiert und außer Schußweite_Der Franzose war unser gefährlichster 
Angriffsgegner, der sich allerdings auch als ein verbiffener Verteidiger erwies. 
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