Volltext: Das Antlitz des Weltkrieges

Ernst Jünger ~ Das Antlitz des Weltkrieges 
an Energie ab, den ein Volk zu entfalten vermag. Dies gilt wie für alle Zeiten so 
auch für die unsere —, das besondere Kennzeichen unserer Zeit jedoch ist die Mög- 
lichkeit, die Grundkraft sehr schnell und in sehr verschiedenartrgen Leistungen zur 
Wirkung zu bringen. Ein Ausdruck dieser Möglichkeit ist die Fähigkeit, sehr 
schnell die Waffen zu wechseln, eine Fähigkeit, die in diesem Matze noch in keinem 
anderen Kriege der Geschichte beobachtet werden konnte. Nicht nur haben sich im 
Verlauf des Weltkrieges die bereits vorhandenen Waffen in einer Weise ent¬ 
wickelt, die nicht vorauszusehen war, so die Artillerie, die Flugzeuge und die Unter¬ 
seeboote, sondern es traten auch ganz neue und eigenartige Kampfmittel in Er¬ 
scheinung, so die Tanks und die Giftgase, Waffen, die bereits nach wenigen 
Monaten ihrer Anwendung einen hohen Grad der Ausbildung erreichten. Dieses 
Veispiel lehrt, datz sich der Begriff der Rüstung in entscheidender Weise geändert 
hat. Die rein militärische Rüstung stützt sich in weit höherem Matze als je zuvor 
aus die allgemeine Arbeitsbereitschaft, die ihr in ununterbrochenem Strome die 
Kräfte zuführt, die zum Kampf erforderlich find. 
Diese Entwicklung deutet sich, wie gesagt, bereits im Verlaufe des letzten Krieges 
an. Gegen Ende des Weltkrieges mündet die rein militärische Auseinandersetzung 
in den Rahmen eines gigantischen Arbeitsvorganges ein. Richt nur die Schlacht¬ 
felder beginnen, mächtigen vulkanischen Werkstätten ähnlich zu werden, sondern 
auch in den Ländern selbst geschieht in einer gewiflen Umkehrung dieses Vorganges 
keine Bewegung mehr, der nicht ein kriegerischer Wert innewohnt. Der Krieg 
verwandelt sich in eine ungeheure Arbeitsleistung, deren Getriebe auch das Dasem 
des letzten Arbeiters und der letzten Arbeiterin in Anspruch nimmt. Reben den 
bewaffneten Heeren entstehen die modernen Armeen der Landwirtschaft, der Er¬ 
nährung, des Verkehrs, der Propaganda, der Wifienschaft, der Industrie; aus 
ihrer nach soldatischen Grundsätzen ausgebauten Zusammenarbeit wächst das Bild 
eines neuen Krieges auf, eines Arbeitskrieges, der den Lebensraum der kämpfenden 
Völker lückenlos und pausenlos erfüllt. 
Eine Entfeffelung der Kraft in solchem Umfange hatte der menschliche Verstand 
zu Beginn des Weltkrieges noch nicht vorgesehen. So kam es, datz der Arbeits¬ 
krieg nicht durch die Maßnahme eingeleitet wurde, mit der er seinem Wesen nach 
hätte beginnen müssen, nämlich durch die Arbeitsmobilmachung. Diese Mobil¬ 
machung hätte allerdings einer stärkeren Einwirkung des vierten Standes auf die 
Geschicke des Landes als ihrer Voraussetzung bedurft, denn nur solche Kräfte 
lassen sich wirklich mobilisieren, bei denen eine innere Bereitschaft zur Mobil¬ 
machung vorhanden ist. So aber griff die Mobilmachung erst im Verlauf des 
Krieges aus dem rein militärischen Raum auf Gebiete über, die ihr zunächst sehr 
fernzuliegen schienen. Die lückenlose Einheit des Krieges machte sich jedoch als 
Tatsache schneller fühlbar als die Einheit der Kriegführung. Hieraus ergaben sich, 
wie es uns Deutschen zur Genüge bekannt ist, mannigfaltige Zwiespältigkeiten 
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