Volltext: Das Antlitz des Weltkrieges

Ernst Jünger ~ Das Antlitz des Weltkrieges 
2 9. August 1916. 
Wahnsinniges Feuer und heftiger Regen dazu. Mehrfach treffen uns Granat- 
splitter, ohne, durch den regenfeuchten Mantel gehemmt, mehr als die Haut zu 
ritzen. In der Nacht ist eine Flasche Kognak heraufgekommen. Der alte, treu- 
herzige Unteroffizier Schwandt hört davon. Zwischen zwei Granateinschlägen 
fetzt er aus seinem Trichter zu mir herüber. Vautz, schlägt schon ein Volltreffer 
in sein soeben verlassenes Loch. Seelenruhig saugt Schwandt an der Buddel: 
„Ich habe immer gewußt, daß Kognak zu etwas gut ist!" und kehrt in gleicher 
Ruhe zu seinem durch den Treffer jetzt bedeutend geräumiger gewordenen Loch 
zurück. 
Ich bin pitsche-patsche-naß, das Feuer ist zum Rasendwerden. Das geht durch 
Stunden so, schwerste Kaliber, die vor, neben, hinter uns — mitten in uns hinein¬ 
schlagen. Toll ist's beim Regiment Alexander, das rechts neben unserm ersten 
Zug hält. Ich sehe, wie die Körper dort emporfliegen, wie Leichen und Lehm 
umherspritzen. Man kann es nicht beschreiben. 
Da ertönt von irgendwoher schallendes Gelächter. Ein entsetzlicher Gedanke fällt 
mich an: Breitet der Wahnsinn sich aus? Aber dann sehe ich Unteroffizier Joses, 
aufrecht steht er da; die Hände gelassen in die Hosentaschen versenkt, so spricht er 
auf die eng an die Erde gekauerten Männer ein. „Ich erkläre den Leuten nur, und 
deshalb lachen sie, eigentlich läge doch kein Grund zum Schimpfen für sie vor. 
Denn heute ginge es ihnen so gut wie — einem Leutnant!" Da lache ich schallend 
mit. Joses sagt bewundernd, auf die Feuerlohen, den blauen Qualm um uns her 
deutend: „So etwas wird uns in Berlin nicht geboten!" Le Forest ist ein graues, 
hin- und herwogendes Nebelmeer, überall darinnen aufzuckende Flammenscheine 
der stet und stet einschlagenden Granaten, während eine gelbe Phosphorsäule lang¬ 
sam gen Himmel steigt. 
Mein Loch ist wie ein Gletscher. Von rechts drängen kaskadenartig die Wasser¬ 
massen ein. Bald liege ich bis zum Halse mitten in ihnen, ohne wegen der niedrig 
haltenden Flieger einen Stellungswechsel vornehmen zu können, der sofort Ver¬ 
nichtungsfeuer aus meinen Zug gelenkt hätte. Dieser Zustand ist zum Rasend¬ 
werden, und ich fühle voll Erbitterung, daß ich anfange, weich zu werden. 
Dann hat mit einem Male große, erschütternde Gleichgültigkeit über mich Herr¬ 
schaft gewonnen. Cs ist ja alles so wurscht, am besten wäre es, wenn sie gut 
träfen! Stunden, in denen ich wähne, Wahnsinn wird mich jeden Augenblick 
befallen. Ein armlanger Granatsplitter — der wievielte schon! — fährt zischend 
vor meinen geduckten Kops. Trotzdem das Eisen im Wasser liegt, ist es glühend 
heiß. Dann packt mich wieder grimmiger Humor: „Mensch, Reinhard, mein 
Freund, — haben Sie keine Badehose?" 
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