Volltext: Das Antlitz des Weltkrieges

Ernst Jünger ~ Das Antlitz des Weltkrieges 
der Bärme. Es ist die Leiche des Vizefeldwebels Freudenhain von der fünften 
Kompanie, den eine Minute vor unserer Ankunft das Schicksal hier erreicht hat. 
Soll das eine Stellung sein? Harter, kalkiger Boden, kaum mannstief, Unter¬ 
stände nirgends. Ich fühle bleierne Müdigkeit, dazu quälenden Durst. Der 
Höllenlärm in der Luft läßt mich kalt. Iahnke hat sich neben mich auf die harten 
Steins gepackt und schläft wie ein Murmeltier. Die Leute schimpfen. Solange sie 
noch schimpfen, find sie gut. 
Unterdessen ist es dunkel geworden. „Grote," ruft eine Stimme, und Salmuths 
lange Gestalt steht auf Deckung, beugt sich hinab und flüstert mir zu: „Wir müssen 
dreihundert Meter über den ersten bayerischen Graben hinausgehen — Gegen¬ 
stoß! Niemand weiß Bescheid, bodenlose Schweinerei!" 
Das Bataillon geht vor. Francois mit seinem Stoßtrupp ausgeschwärmt vorne¬ 
weg. Trotz aller Mühen erhalte ich keinerlei Orientierung, weder über die bayerische 
Stellung, noch über das ungefähre Angriffsziel. Das sollte Unglück und Glück 
zugleich bedeuten. 
Stockdunkle Nacht, und doch viele Tausende von zuckenden Blitzen darin. Granat- 
und Schrapnellfeuer, das von Minute zu Minute zunimmt. In die Nacht hinein, 
den Blick starr aus den Vordermann gerichtet, um den Anschluß nicht zu verlieren, 
geht es in eine völlige Ungewißheit hinein. Seit zwölf Stunden haben wir nichts 
zu essen und zu trinken erhalten, und vor allem der Durst ist quälend, denn siedend¬ 
heiß war der Tag. Hinter mir, vor mir ächzen, stöhnen sie, aber nur keine Rücksicht 
daraus nehmen, denn es muß sein. Granaten schlagen vor, neben und hinter uns 
ein, fortwährend umhüllt uns Dreck, Luftdruck peitscht uns Steinchen und Lehm- 
klöße ins Gesicht. Wir denken nur: Vordermann! 
Da zucken drei bis vier Feuerlohen vor uns auf. In dem kurzen Augenblick er¬ 
kenne ich unsere langsam durch die Nacht keuchende Menschenschlange. Aber 
ich sehe auch, daß sie eben zerrissen wurde, daß sich dort vorne dunkle Gestalten 
im jämmerlichen Wehgeschrei auf der Erde wälzen. Weiter, weiter! 
Aber die Reihe vor mir stockt, taumelt ziellos hin und her, steht ganz. Jäh steigt 
ein Grausen in mir empor, Schreck zwingt meine Glieder fast zu Boden, und da 
kommt es auch schon von vorne durch: „Verbindung abgerissen." 
Was tun? Es gilt, sich schnell zu entscheiden. Aber ich habe keine Befehle. Dabei 
ist der Hauptteil der Kompanie bei mir. Soll ich mit der ausgepumpten sinnlos 
dem Franzosen in die Arme laufen? Schwerer Entschluß, der sich später als der 
richtige herausstellte: Zurück zur Priezstellung! 
Trostloses Tappen durch die Nacht, durch das Feuer zu dem eben verlassenen 
Graben. Er ist von anderen Gruppen längst besetzt, auch Nachzügler von uns, 
die ich sammle. Meine Unternehmungslust ist voll geweckt. Obendrein erfüllt sich 
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