Volltext: Das Antlitz des Weltkrieges

Ernst Jünger ~ Das Antlitz des Weltkrieges 
Laune zu sein. „Es wird Sie sehr interessieren, von Ihrer Dixmuiden-Offensive 
zu hören," sagte er und drückte mir ein Schriftstück in die Hand. Ich las es. Es 
war eine Gefangenenaussage. Aus ihr ging hervor, daß bei Dixmuiden eine große 
Aberraschungsoffensive vor dem Losschlagen gestanden hätte. Infolge des Durch¬ 
bruchs der Deutschen an der Isonzofront seien aber einige Tage vor Beginn die 
Angrifsstruppen nach Italien abtransportiert. Ein Stein fiel mir vom Herzen. 
Der Oberst klopfte mir auf die Schulter und sagte nur: „Nun machen Sie man 
tüchtig weiter" und entließ mich. 
Erst am späten Nachmittag war beim Oberkommando Näheres über den Angriff 
zu erfahren. Meine Meldung hatte sich bestätigt. Allerdings waren trotz der 
Reserven isic Stellungen nicht zu halten gewesen, die Front wurde zurückverlegt, 
der Rückzug in Flandern begann. 
Jetzt erhielten wir den Auftrag, die Rückzugsmaßnahmen der eigenen Truppen und 
das Nachfolgen des Feindes zu beobachten. Da die Marschbewegungen ge¬ 
schloffener Truppenteile fast immer nachts erfolgten, war hierüber nichts zu er¬ 
kunden. Einige Handgranaten-Rauchwölkchen an einzelnen Stellen, manchmal 
hier oder dort ein Granateinschlag oder ein Schrapnellwölkchen, das war alles, 
was wir von dem Rückzugskampf sahen. Dann bezog unsere Armee weit rückwärts 
eine neue Stellung zu nachhaltigem Widerstand. Wir erhielten den Auftrag, diese 
durch unsere Fernaufklärung gegen feindliche Angriffe zu sichern. Sofort gingen 
wir an unsere systematische Crkundungsarbeit. Zuerst flogen wir sämtliche Bahnen 
und Wafferläufe ab, um festzustellen, bei welchen Eisenbahnlinien und Brücken 
unseren zurückgehenden Truppen die Zerstörung geglückt war. Wir stellten fest, 
daß gründliche Arbeit geleistet war, und daß eine gründliche Instandsetzung der 
Nachschubwege wochenlang dauern würde. Diese zu kontrollieren, war nun unsere 
nächste Arbeit. Man hatte beim Armeeoberkommando gedacht, daß der Feind an 
ihr fieberhaft arbeiten würde, doch das Gegenteil war der Fall. Täglich machten 
wir unsere Flüge, wegen des schlechten Wetters in niedriger Höhe, in täglichem 
Kampf mit feindlichen Fliegern. Wir konnten durch unsere Lichtbildausnahmen 
und unsere Augenerkundung feststellen, daß nur die hauptsächlichsten Chauffee- 
brücken wieder hergestellt wurden, daß man an den Bahnstrecken kaum arbeitete 
und daß man nicht einmal für nötig hielt, die großen, in die Chauffee in Zwischen¬ 
räumen von einem Kilometer gesprengten Trichter auszufüllen, daß man vielmehr 
den Verkehr um diese behelfsmäßig herumleitete. 
Aber auch sonst waren keinerlei Angriffsvorbereitungen zu erkennen. Kein er¬ 
höhter Nachschub war zu sehen, kein Heranfahren von Material und Munition, 
kein stärkerer Auto- und Wagenverkehr. Trotzdem erfolgte der feindliche Angriff 
auf breiter Ausdehnung, durchbrach ohne größere Artillerievorbereitung unsere 
Front und zwang uns zu weiterem Rückzug. 
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