Volltext: Das Antlitz des Weltkrieges

Wie der Flieger den Krieg sah 
zwecken schießt. Also zurück an den linken Armeeflügel, die Karte heraus und ein¬ 
gezeichnet. Rot die Angriffsstellen, blau Zermürbungsfeuer, schraffiert 
Täuschungsabficht. „Vei Dixmuiden nur Täuschungsfeuer," es wird das 
Armeeoberkommando besonders interessieren, daß es bei der Gruppe Nord keine 
Reserven braucht. 
Nun noch einmal zurück! Die Wolken haben sich jetzt gehoben, wir fliegen etwa 
tausend Meter hoch. Jetzt heißt es aufpasien, denn überall wimmelt es nun von 
eigenen und feindlichen Geschwadern und Cinzelfliegern. Vorsichtig winden wir 
uns zwischen ihnen hindurch und nähern uns wieder der Hauptkampffront. Ein 
Blick auf die blitzende feindliche Artillerie, auch hier funktioniert mein Gehirn, ich 
erfasse, was los ist: die gesamte feindliche Artillerie schießt nicht mehr aus 
den alten Stellungen westlich der Äser, sondern ist vor diese nach Osten vor¬ 
gezogen. Das ist der Beweis, daß es sich um einen Angriff mit weitgestecktem 
Ziel, also um einen Durchbruch handelt. Ich fliege noch einmal zur Küste hinauf: 
Es stimmt alles. Überall, wo ich Täuschungsmanöver angenommen hatte, steht 
die Artillerie in den Stellungen, wo sie immer stand, an den Angriffsstellen ist 
sie vorgruppiert. 
Jetzt schnell nach Hause, ins Auto, Karte und Meldeblock eingesteckt, zum Ober¬ 
kommando. In einer Viertelstunde bin ich beim Chef des Stabes und kann diesem 
meine Beobachtungen melden. Ernst sagt er zu mir: „Sie wissen, was es be¬ 
deutet, wenn ich jetzt auf Ihre Meldung hin die Reserven ansetze. Den Luxus 
einer falschen Meldung können wir uns heute nicht erlauben." Dann gab er seine 
Befehle. 
Ich fuhr nach Hause. Wieder einmal wie schon so oft, frohen und doch schweren 
Herzens. Ich hatte der Infanterie, der Artillerie helfen können, das machte mich 
glücklich. Oder hatte ich vielleicht nicht geholfen, hatte ich vielleicht falsch gesehen, 
falsch eingezeichnet, falsch kombiniert? Wenn sich jetzt die Reserven an Front¬ 
teile in Bewegung setzten, wo sie nichts nutzten, so war ich zum mindesten mit¬ 
schuldig am feindlichen Durchbruch und am Tode Tausender. 
Ich dachte zurück an eine Meldung vor einiger Zeit und an die Wochen hinterher, 
die schlimmsten, die ich im Kriege erlebt hatte. Damals hatte ich aus verschiedenen 
Anzeichen, vor allem aus dem Neubau und ümbau von Cisenbahngeschützständen 
gefolgert, daß der Feind einen Großangriff auf Dixmuiden plane. Das Armee¬ 
oberkommando hatte Reserven angefordert und die Abwehrmaßnahmen in Gang 
gesetzt. Tag um Tag, Woche um Woche waren vergangen, kein Angriff war er¬ 
folgt. Vei der Armee sagte man nichts. Doch — entweder kam es mir so vor, 
oder es war wirklich so —, wenn ich mit neuen Meldungen zum Generalstab kam, 
glaubte man sie nicht recht, wartete auf Bestätigung von anderen Fliegerabtei¬ 
lungen. Eines Tages wurde ich schließlich zum Chef des Stabes befohlen. Mit 
nicht gerade erfreulichen Gefühlen betrat ich sein Zimmer. Cr schien jedoch guter 
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