Volltext: Das Antlitz des Weltkrieges

k -er flieget den Krieg sah 
von Hermann Kricke 
Der Tag vor dem Großangriff des Feindes. In über sechs Kilometer Höhe fliegt 
das Fernaufklärungsflugzeug die Front an. Glasklar ist die Luft. Unter ihm 
liegt die Großstadt Lille, jetzt ein kleiner Steinfleck im Riesenraum, mit einer 
Hand bequem zuzudecken. Der Flieger weiß, daß sich hier, daß sich in jedem der 
noch winzigeren Orte hinter der Front auf seine Meldungen der letzten Tage 
und Wochen hin die Reserven gegen den drohenden feindlichen Stoß massieren. 
Cr weiß es, aber er sieht es nicht, während er in der Höhe dahinzieht. Die Welt 
ist da oben Frieden und Sonne, die Welt unter ihm ist Licht und Farbe. Das 
blaue Meer liegt zum Greifen nahe vor ihm, trotzdem die Breite einer Armee 
dazwischen liegt, einer Armee, auf seiner Seite den Kampf erwartend, drüben in 
der letzten Vorbereitung zum vernichtenden Angriff. Cin Blick umfaßt den Front¬ 
abschnitt, auf dem die Gesamtenergie fast der ganzen Welt an Kampfkraft der 
Truppe, an Organisation der Etappe und Heimat, an Arbeit und Material vor 
der vernichtenden Explosion, auf dem das Schicksal seines Volkes vor der Ent¬ 
scheidung steht. 
Cin schmales Band zieht sich braun durch das grünende Land. Wenn man nicht 
schon oft, mit dem Auto vorfahrend, in diesen Gegenden gewesen wäre, könnte man 
es sich nicht vorstellen, daß dieser freundlich-braune Strich die Hölle der Vpern- 
front daß hier der vernichtende Cisenhagel vieler Flandernschlachten Felder, 
Wälder und blühende Ortschaften zu Schlamm zermahlen hat, daß Hundert- 
tar sende hier kämpfend gestorben sind, daß Division neben Division dort auf die 
neue Schlacht wartet, wiederum bereit, zu kämpfen und zu sterben. Ein kleines, 
weißes Rauchwölkchen, einmal hier, einmal dort, schnell entstehend, langsam ver¬ 
wehend: auch in diesem Augenblick erntet dort unten der Tod, wie schon immer — 
jahrelang. 
Schon leicht in blauem Dunst verschleiert liegen die Küstenhäfen des Kanals, 
Dünkirchen noch deutlich zu sehen, mehr zu ahnen Calais und Abbeville. Aus 
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