Volltext: Das Antlitz des Weltkrieges

Ernst Jünger ~ Das Antlitz des Weltkrieges 
bringt „Tee" und „Marmelade", Dinge, deren Namen und Geschmack den Söhnen 
des Bayerischen Waldes, des Rott- und Inntals ewig fremdbleiben und die mit 
Verachtung hinabgewürgt werden. Ob die Preußen, die das erfunden haben, 
wirklich auch im Frieden nur von solchem Zeug leben? ... Dann werden die Ver¬ 
luste bekannt. Alle wollen sich verabschieden, von den Lebenden und von den zwei 
Toten, die jetzt aus dieser großen Familie scheiden. Ein herzlich guter Geselle ist 
ein Nottaler Bauer, der als der stärkste Mann der Batterie gilt, weil er in seiner 
Gutmütigkeit häufig zwei Granaten statt einer schleppt — das sind zweihundert¬ 
zwanzig Pfund —, er hat verschwommene blaue Vauernäuglein und gibt weinend 
einem jeden die Hand, wobei er auch zu den Toten mit weinender Stimme einige 
Abschiedsworte stammelt. Alle, auch der Vatterieführer, hören ergriffen und 
schweigend zu, noch mancher wischt sich eine Träne aus den Augen. Der seltsame 
Mann läuft noch ein Stück mit dem Wagen der Feldküche, der die Toten und Ver¬ 
wundeten mitnimmt, dann kehrt er um und fängt ganz allein an zu munitionieren. 
Wer ihn jetzt davon abhalten möchte, den würde er heftig anplärren, man läßt ihn 
in allem gewähren. Ein Wort des Lobes von seiten eines Vorgesetzten rührt ihn 
so, daß es ihn drängt, einem die zu allem andern als zur Arbeit ungeschickte, 
mächtige, harte Hand zu geben. Auch diese neue Religion des Krieges hat ihre 
Armen im Geiste. Sie eignen sich nicht dazu, befördert zu werden, aber in dem 
grauen, verschwitzten und armseligen Kittel haben sie mehreren „Bandeln" im 
Knopfloch... 
Die Sonne ist im Absteigen begriffen, am Telephon werden Meldungen gemacht, 
neue Befehle entgegengenommen, für den nächsten Abend werden wieder acht- 
hundert Schuß Munition angemeldet. Noch keine Hoffnung auf Ablösung aus 
dieser Stellung, auch nicht auf Stellungswechsel; schon auf eine schüchterne An¬ 
frage hin ist man im Bataillon ungehalten. Hat die Batterie nicht einen idealen 
Stollen? 
Wie ein seltsames Nachspiel des sturmvollen Tages erhebt sich, Ppern zu, am 
westlichen Himmel eine prächtige Wolkenschlacht — von allen Seiten ballt sich 
riesenhaftes Gewölk zu Gebirgen, die aufeinander losstürmen, ineinander über¬ 
gehen, sich auf- und zurückbäumen, recken, zerfetzen, türmen, einen Wirbel bilden 
und dann von einem willkürlichen Stoß nutzlos auseinanderjagen, sich wieder 
sammeln und schließlich als silberne Schäfchen über das ganze Firmament sich 
zerstreuen und zerfleddern. Der Meldegänger, der sich wieder auf den Weg zum 
Fnfanteriekommandeur befindet — diesmal ist es ein milder Abendgang, wenn 
auch früher die Feuertätigkeit immer noch „lebhaft" geheißen hätte —, er schaut 
mehr diesem Wolkenspiel zu als auf die zahllosen neuen, eine Stunde alten 
Trichter, über die hinweg er seinem Ziele zu klettert. Cr vergleicht diesen zauber¬ 
haften Vorgang am Himmel in Gedanken mit einem Buch, das er vor Monaten 
zum erstenmal gelesen hat — nach dem Macbeth, dem Lear, dem Richard, dem 
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