Volltext: Das Antlitz des Weltkrieges

Ernst Jünger — Das Antlih des Weltkrieges 
„fünfzig schweren Minen, schweren und mittleren Granaten auf Saubucht und 
anschließende Gräben" werden „ungefähr einhundertfünfzig, zweihundertfünfzig, 
dreihundert, fünfhundert"! Unversehens befindet man sich Anfangs Juni im 
tollsten Trommelfeuer, der Vetonklotz schaukelt auf dem lockeren, ausgetrockneten 
Lehmboden, alle Telephonverbindungen find abgeschoffen, eines Nachts wird der 
Eingang zugeschüttet, Sprengungen stehen zu erwarten. In den Feuerpausen am 
Vormittag wird die alte Leitung geflickt oder eine neue gelegt und das Sperr¬ 
feuer nachgeprüft. Einer der Fernsprecher fällt durch Kopfschuß von einem 
Maschinengewehr. Ein anderer wird durch einen Splitter leicht verwundet und 
vor der Katastrophe gerettet. 
Inzwischen ist die Batterie staunend aus ihrer Ruhe erwacht. Man stellt zunächst 
die Zunahme der eigenen Artillerie fest. Mehrere Feldartillerieregimenter 
schmettern ihren lustigen Tanz. Die geübten Artilleristenohren suchen aus den 
Abschüffen die Anzahl der schweren Batterien im Abschnitt und die Größe der 
Kaliber festzustellen. And dann geht das Trommeln los; immer noch ist ein 
Gefühl da, als ob das bald vorüber sein werde, und nach der langen Ruhe 
macht einem die energische Schießerei Spaß, zumal die Stellung nach wie vor 
kein ernsthaftes feindliches Feuer erhält. 
Am Ende der ersten Iuniwoche tritt die Katastrophe ein. Die Höhe 60 wird 
vom Engländer in die Luft gesprengt, die drei Mann der Beobachtung mit 
vielen, vielen anderen sind dabei unrgekommen, erstickt, begraben, zerschmettert. 
Rur durch raschen Stellungswechsel rettet sich die Batterie vor dem Schicksal der 
Gefangenschaft, englische Kavallerie ist bis über das Haselgebüsch vorgeritten und 
dort von Maschinengewehren zusammengeschoffen worden ... 
Drei Monate später. 
Jene überraschende, unglückselige Ouvertüre ist untergegangen im Toben der 
ungeheuerlichen Schlacht. Die Batterie befindet sich in einer Stellung unweit 
der ehemaligen Straße Menin—Z)Pern. Das spärliche Mondlicht erhellt eine 
Landschaft, die der Teufel geholt hat. In allen Richtungen, nach hinten und nach 
vorne, zucken ununterbrochen die Hexenflammen der Einschläge und Abschüsse 
auf. Der Mensch des Jahrhunderts, der Mensch der Technik, hat eine neue 
Sintflut heraufbeschworen mit bleigrauen Hagelgüffen, flammenden, rauchen¬ 
den, stiebenden und krachenden Fontänen, mit tödlicheren Blitzen als denen, 
die „der uralte heilige Vater mit gelasiener Hand über die Erde sät", mit 
ununterbrochenen Donnern, die alle „rollenden Wolken" am Himmel verspotten, 
und mit Menschen, die auf Cisenbahnzügen und Schiffen herangefahren kamen, 
um manchmal nur Augenblicke in diesem verlorenen Klima zu atmen. Doch der 
Feuersaft scheint sie zu nähren; wie der Sommer fliegt, werden es immer mehr 
der Menschen und Maschinen. 
Ein schweres vierunddreißiger Geschoß hat vor einigen Tagen den Vetonklotz des 
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