Volltext: Das Linzer Programm der christlichen Arbeiter Österreichs

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mer nicht in der gesellschaftlichen Geltung. Man spricht mehr als Klasse 
von ihr, so wie die Römer ihre Bevölkerung in Klassen einteilten und 
die letzte Klasse, die man nur noch nach den Köpfen zählte, nicht mehr 
nach ihrem gesellschaflichen Wert, als proletsrii bezeichneten. Was also 
beeinträchtigt diese Geltung? 
Diese Geltung ist beeinträchtigt durch: Unsicherheit «ud Unzuläng 
lichkeit des Arbeitsertrages, Mangel an Eigentum und Seß 
haftigkeit» Gefährdung der Familie. 
Der erste Mangel gibt dem Arbeiter etwas Zigeunerhaftes, Un 
stetes; er ist oft weniger angesehen als die Maschine, die er bedient. Denn 
bei der Maschine rechnet man genau, was sie kostet, wann sie sich ab 
nützt und man sorgt für sie, indem man Rücklagen ansammelt. Dem Ar 
beiter hingegen steht man im sogenannten freien Arbeitsvertrag ge 
genüber; wird er heute gekündigt, so geht er morgen dem Betriebsherrn 
nichts mehr an; er bildet für die Arbeilsvereinigung des Betriebes 
keine Gesellschaft, keine Betriebsgemeinde, er ist Kostenbestandteil, den 
man beliebig auswechseln kann; er weiß nur selten, in welchem Ver 
hältnis die Frucht seiner Arbeit zum gesamten Arbeitsertrag steht — 
alles Umstände, die an Sklaverei erinnern. Gewiß hat vor allem die 
gewerkschaftliche Tätigkeit, die soziale Gesetzgebung viel an diesen Zu 
ständen gemildert, in der staatlichen Gesetzgebung spielt der Arbeiter 
heute überall eine große Rolle. Aber das alles sind doch im großen 
Ganzen nur Milderungen der Folgen und am Wesen ist nicht viel gerührt. 
Wer kein Eigentum hat, ist nach allgemeiner Auffassung Bettler. 
Unter Eigentum verstehen wir natürlich nicht einfach jene Warenmenge» 
die nötig ist, um von der Hand in den Mund zu leben; wir verstehen 
darunter einen Vermögensstock, den man verwalten kann. Und nun greift 
eines ins andere. Da der Arbeitsertrag unzulänglich ist, kann sich der 
Arbeiter selten soviel zurücklegen, daß er auch nur zu einem bescheidenen 
Heim käme; >da der Arbeitsertrag überdies unsicher ist und dauernd 
unter der Gefahr der Arbeitslosigkeit steht, kann er nicht damit rech 
nen, irgendwo ansässig zu werden; der Mangel an Seßhaftigkeit ver 
stärkt die Unsicherheit seiner Lage erst recht. Um sich bei Arbeitslosig 
keit den Umzug zu ersparen, sucht er von vorneherein Plätze mit viel 
Arbeitsgelegenheit auf, vergrößert dadurch die ungesunde Großstadt 
und verteuert sich so wiederum das Leben. 
Jahrzehnte hindurch unter Lohnverhältnissen stehend, die nicht viel 
vom ehernen Lohngesetz abweichen, die ihm nur wie einem Haustier die 
verausgabte Kraft ersetzen, aber auf seine menschliche Natur nicht Rück 
sicht nehmen, konnte er nicht die Frau zu Hause lassen; auch sie mußte
	        
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