Volltext: Das Linzer Programm der christlichen Arbeiter Österreichs

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ist in einen großen Kreislauf eingespannt, der mit dem Advent beginnt 
und mit dem letzten Sonntag nach Pfingsten endet. Diesen Kreislauf 
muffen wir innerlich mitleben. Das erfordert aber ein zeitweises Ab 
stellen jeder andern Tätigkeit und ein Umstellen der Gedanken. Daher 
find Sonn- und Zeiertage Gage unserer Seele und wir find äußerst 
empfindlich, wenn solche Gage durch äußere Linflüsse angetastet werden. 
Wir wissen, daß unsere Vorzeit, in der es mit dem vollen Arbeits 
ertrag viel besser bestellt war als heute, bedeutend mehr Zeiertage hatte, 
daß die Handwerker unserer mittelalterlichen Städte tagelang den My 
sterienspielen auf dem Marktplatz zusahen, daß auch die einfachsten Men 
schen mit den Ereignissen unseres Glaubenslebens viel besser vertraut 
waren als es heute die Gebildeten sind. 
Mit vielen Feiertagen hat in Oesterreich und in anderen Ländern 
schon die Aufklärung des 18. Jahrhunderts aufgeräumt. Weitere Feier 
tage fielen der Gewinnsucht des 19. Jahrhunderts zum Opfer und eine 
Reihe von Feiertagen, mit denen unser ganzes Denken und Fühlen ver 
wachsen ist, hat uns noch das zwanzigste Jahrhundert weggenommen. 
Ls tut uns im Snnern weh, wenn wir an einem Feiertag wie Maria- 
Gmpfängnis die Karren über das Pflaster rollen hören. Sn diesem Ab 
bau des seelischen Lebens muß nun endlich halt gemacht werden. 
Ls ist ein Unsinn, wenn sich Kaufleute und Kleinverschleißer mit dem 
flauen Geschäftsgang ausreden: Sst der Geschäftsgang flau, so ist es 
ein Beweis, daß große Schichten nicht kaufkräftig sind. Sch mache sie 
aber nicht kaufkräftiger, wenn ich ihnen Gelegenheit gebe, ein paar 
Lage im Sahre öfter einen offenen Laden zu finden. Große Schichten 
kann ich nur kaufkräftig machen, wenn ich die Gllterverteilung besser 
regle, denn erzeugt wird ohnehin genug. 
Wenn verhetzte sozialistische Arbeiter oft selber ihren Betriebs- 
Herrn förmlich zwingen, an katholischen Feiertagen arbeiten zu lassen, 
so bedauern wir diese seelische Verwirrung aufs tiefste. Ls ist aber weder 
des Staates noch der Kirche Aufgabe, solchen Verhetzungen nachzuge 
ben. Durch Zeiertagsarbeit ist noch niemand zum Wohlstand gekommen. 
Wir haben heute nicht nur kirchliche Feiertage. Wir haben auch 
Staatsfeiertage, den 1. Mai und den 12. November. Sn weiten Kreisen 
werden diese Feiertage nicht als Zeiertage empfunden. Ls ist auch etwas 
drollig, auf der einen Seite althergebrachte Feiertage, die im Volks- 
bewußtsein wurzeln, abzuschaffen und auf der anderen neue einzuführen. 
Grotzdem fällt es uns nicht ein, gegen diese Staatsfeiertage anzurennen. 
Wir wünschen, daß auch sie ins Volksbewußtsein übergehen, allerdings 
mit dem rechten Snhalt. 
Der erste Mai war übrigens schon einmal Feiertag, wenigstens in
	        
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