Volltext: Österreichische Regierung und Verwaltung im Weltkriege

DIE BEAMTENMINISTERIEN U. DAS ALLG. WAHLRECHT. 63 
schnell emporgewachsenen sozialen Radikalismus zur Zurück* 
drängung des Nationalismus und großbürgerlichen Liberalismus 
nutzbar zu machen. Während des Zeitraumes von 1893 bis in 
das Jahr 1907, als zuletzt doch die Regierung des Barons Beck 
nach langwierigen Kämpfen, dem Wunsche des Kaisers ent* 
sprechend, das allgemeine Wahlrecht im alten «Privilegien* 
Parlament» durchzusetzen vermochte, war der Gedanke immer 
stärker hervorgetreten, daß nur durch eine demokratische Um* 
gestaltung der von Schmerling herrührenden Verfassungsformen 
und vornehmlich des auf den Großgrundbesitz und die bürger* 
liehen Ober* und Mittelklassen beschränkten Wahlrechtes die 
gefährliche Schärfe des Nationalitätenkampfes gemildert oder 
gar beseitigt werden könne. Dieser Kampf aber war durch das 
Ministerium Badeni in den Jahren 1896 bis 1897 auf’s heftigste 
gesteigert worden, als dieser, aus der polnischen Adelsbureau* 
kratie stammende, mit den westösterreichischen Verhältnissen 
nur sehr oberflächlich vertraute Ministerpräsident, um die 
Tschechen zur Regierungspartei heranzuziehen, die seit 
16 Jahren bestehenden und längst von gemäßigten Deutschen und 
Tschechen praktisch anerkannten Sprachenverordnungen plötz* 
lieh mittels einer neuen Regierungsverordnung einfach zugunsten 
des slawischen Volkselementes in Böhmen, Mähren und Schle* 
sien abänderte. Der hierdurch entzündete Oppositionskampf der 
Deutschen aller Parteien brachte zum erstenmal die Waffe der 
Obstruktion im Abgeordnetenhause zur rücksichtslosesten An* 
Wendung. Die unerläßlichen «Staatsnotwendigkeiten», wie sie 
schon durch die periodische Erneuerung des Ausgleiches mit 
Ungarn und die jährlichen Armeebedürfnisse gegeben waren, 
wurden von nun ab durch ein Jahrzehnt fast in jedem Jahre 
nur mittels des in der Verfassung seit Schmerlings Zeit ent* 
haltenen Diktatur*Paragraphen (§ 14) formell zustande gebracht. 
Als sodann drei Jahre nach dem Eingriff Badenis in das be* 
stehende Sprachenrecht der Kaiser sich dazu entschloß, die 
Badenischen Verordnungen wieder aufzugeben und hiezu ein 
besonderes, aus Beamten gebildetes Ministerium ernannte, trat 
automatisch die Obstruktion der Tschechen im Reichsrate an 
die Stelle derjenigen der Deutschen. Auf diese Weise führten 
die heftigen Kämpfe der nationalen Parteien aller Völker im 
ganzen Bereiche des öffentlichen Lebens eine immer fühlbarer 
werdende Lähmung des gesamten parlamentarischen Apparates
	        
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