ja auch schon vor dem Kriege viel zu
viel auf die Sensationslust der Leser
eingestellt war, leistete sich im Kriege
Unerhörtes und wir dürften nicht fehl¬
gehen, wenn wir diesen mit dem ge¬
druckten Wort geübten Mißbrauch
zu nicht geringem Teil dem Einfluß
der Dame zuschreiben. Alle Zeitungen
des Kontinents, auch die der neutralen
Länder nicht ausgenommen, da diese
ja mehr oder minder im Lager eines
der Kriegsteilnehmer standen, präsen¬
tierten täglich die haarsträubendsten
Greuel, die sich auf den Kriegsschau¬
plätzen ereignet haben sollten, von
denen sich aber fast immer heraus¬
stellte, daß sie erlogen waren. Man ist versucht, zu behaupten: es kam
den Zeitungen und (da jedes Volk die Presse hat, die es verdient und
die es haben will) auch ihren Lesern nicht auf die Wahrheit der Nach¬
richten an, sondern darauf, daß sie jeden Tag ihre starke Kost an Not¬
zucht, Massenmord, Gewalttaten und ähnlichem noch brühwarm auf ge¬
tischt bekamen.
Daß die Dame hier an der Spitze der Tafel saß, kann weiter nicht ver¬
wundern. Schon Coleridge sagt:
Boys and girls
And women that would groan to see a child
Pull off an insect’s leg, all read of war
The best amusement for our morning meal.
Oder man lese bei Eberhard2) die Zuschrift nach, die dem
»Berliner Lokalanzeiger« im Jahre 1912, als die Gefahr des Weltkrieges
schon nahegerückt war, aber noch beseitigt werden konnte, von einer
gebildeten Dame zuging. »Es ist«, heißt es in der offenbar sehr freimütigen
Zuschrift, »sehr betrübend, daß der Krieg unterbleiben soll, es wäre doch
so interessant zu lesen gewesen.«
Eine geistvolle Zeichnung Th. Th. Heines aus diesen Kriegsjahren
zeigt uns eine Frau, die mitleidsvoll in den vor ihr sitzenden Verwunde¬
ten dringt, er möge ihr sein schrecklichstes Kriegserlebnis erzählen. Der
Stoff des Bildes ist lebenswahr und typisch. Die Dame, die Zuschauerin
des Krieges, hat in dieser blutigen Zeit öfter als man glauben könnte,
Gelüste und Triebe befriedigt, die ausgesprochen als sadistisch zu bezeich¬
nen sind. Über diesen Sadismus im Miterleben schreibt der Psycho¬
analytiker Dr. Otto Rank:
Die versuchte Militarisierung der Frauentracht
Modebild aus »Elegante Welt«, 1915
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