Volltext: Sittengeschichte des Weltkrieges I. Band (I. / 1930)

ja auch schon vor dem Kriege viel zu 
viel auf die Sensationslust der Leser 
eingestellt war, leistete sich im Kriege 
Unerhörtes und wir dürften nicht fehl¬ 
gehen, wenn wir diesen mit dem ge¬ 
druckten Wort geübten Mißbrauch 
zu nicht geringem Teil dem Einfluß 
der Dame zuschreiben. Alle Zeitungen 
des Kontinents, auch die der neutralen 
Länder nicht ausgenommen, da diese 
ja mehr oder minder im Lager eines 
der Kriegsteilnehmer standen, präsen¬ 
tierten täglich die haarsträubendsten 
Greuel, die sich auf den Kriegsschau¬ 
plätzen ereignet haben sollten, von 
denen sich aber fast immer heraus¬ 
stellte, daß sie erlogen waren. Man ist versucht, zu behaupten: es kam 
den Zeitungen und (da jedes Volk die Presse hat, die es verdient und 
die es haben will) auch ihren Lesern nicht auf die Wahrheit der Nach¬ 
richten an, sondern darauf, daß sie jeden Tag ihre starke Kost an Not¬ 
zucht, Massenmord, Gewalttaten und ähnlichem noch brühwarm auf ge¬ 
tischt bekamen. 
Daß die Dame hier an der Spitze der Tafel saß, kann weiter nicht ver¬ 
wundern. Schon Coleridge sagt: 
Boys and girls 
And women that would groan to see a child 
Pull off an insect’s leg, all read of war 
The best amusement for our morning meal. 
Oder man lese bei Eberhard2) die Zuschrift nach, die dem 
»Berliner Lokalanzeiger« im Jahre 1912, als die Gefahr des Weltkrieges 
schon nahegerückt war, aber noch beseitigt werden konnte, von einer 
gebildeten Dame zuging. »Es ist«, heißt es in der offenbar sehr freimütigen 
Zuschrift, »sehr betrübend, daß der Krieg unterbleiben soll, es wäre doch 
so interessant zu lesen gewesen.« 
Eine geistvolle Zeichnung Th. Th. Heines aus diesen Kriegsjahren 
zeigt uns eine Frau, die mitleidsvoll in den vor ihr sitzenden Verwunde¬ 
ten dringt, er möge ihr sein schrecklichstes Kriegserlebnis erzählen. Der 
Stoff des Bildes ist lebenswahr und typisch. Die Dame, die Zuschauerin 
des Krieges, hat in dieser blutigen Zeit öfter als man glauben könnte, 
Gelüste und Triebe befriedigt, die ausgesprochen als sadistisch zu bezeich¬ 
nen sind. Über diesen Sadismus im Miterleben schreibt der Psycho¬ 
analytiker Dr. Otto Rank: 
Die versuchte Militarisierung der Frauentracht 
Modebild aus »Elegante Welt«, 1915 
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