sehen Erörterungen — auf: Haben denn die Menschen den Welt¬
krieg gewollt, ihn tatsächlich bejaht? Unsere Antwort lautet: J a.
Unsere Selbsterkenntnis fordert diese Feststellung von uns. Wir ver¬
kennen die massenpsychologischen Stimulantia einer (mit verschwin¬
denden Ausnahmen) kriegshetzerischen Presse ebensowenig wie die
offiziell hochgezüchtete Gesinnung, welche den Krieg als »Stahlbad der
Nerven und Nationen« verherrlichte. Aber trotz allem dürfen wir nicht
die primäre Tatsache der Kriegsbegeisterung außer acht lassen, die beim
Kriegsausbruch in allen kriegführenden Ländern so eruptiv zum Ausdruck
kam. Immerhin mag Emil Ludwig18) recht haben, wenn er behauptet, daß
drei fähige Staatsmänner den Krieg hätten verhüten können. Doch das
führt uns schon zum Führerproblem hinüber und damit zwangsweise zur
massenpsychologischen Würdigung des Krieges. Es wird im allgemeinen
die Ansicht vertreten, daß wir heute in einer Epoche der kollektiven
Massenkräfte leben, wo die über geschichtlichen Helden von Carlyle nichts
mehr zu suchen haben. Allein Massenpsychologie und Führerpersönlich¬
keit sind zwei Aspekte des einen Phänomens: der Wirkung des Einen auf
die Vielen. Und so ist der Krieg als Ereignis von übermenschlichen
Dimensionen vornehmlich geeignet, über Massenpsychologie und Führer-
tum Beobachtungen zu gestatten. Auch in dieser Beziehung hat uns die
Psychoanalyse, das heißt Freud, entscheidende Aufschlüsse gegeben. Wir
sahen, daß die Strukturbeschaffenheit der Einzelseele die Bereitschaften
für kriegerische Tendenzen latent in sich trägt, doch wollen wir hier der
Rolle gedenken, die nach allgemeiner Auffassung den massenpsycho¬
logischen Faktoren zukommt. Vor Freud galt es scharf zwischen Indi¬
vidual- und Massenpsychologie zu unterscheiden. Man beschrieb die
Eigenschaften der Massen (G. Le Bon, »Psychologie des foules«) und man
stellte fest, daß sie
Züge, die von denen
der Einzelperson we¬
sentlich ab weichen,
zum Ausdruck bräch¬
ten. Es sind haupt¬
sächlich gesteigerte
Affektivität und ver¬
minderte Intellektu-
alität, welche als
vorherrschende Züge
Einerseits um die Mannschaft bei guter Laune zu erhalten,
andererseits um die Frauen mehr in den Dienst des Vaterlands
zu stellen, wurde in den französischen Kasernen die Besuchszeit
über Nacht ausgedehnt.
Aus »Der Faun«, Wien, 1916
jeder Massenbildung
zugeschrieben wor¬
den sind. Doch
war dieses mystische
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