Volltext: Sittengeschichte des Weltkrieges I. Band (I. / 1930)

und verseuchtesten Dirnen. Ob sie brave, anständige Arbeiterinnen 
waren oder Frauen der höheren Gesellschaftskreise — wenn sich das 
Tor von Lousberg hinter ihnen geschlossen hatte, wurden sie gleich¬ 
mäßig als Auswurf des weiblichen Geschlechtes behandelt. Sie mußten 
gemeinsam in den geräumigen, unappetitlichen Sälen liegen, mußten, 
selbst wenn ihre Herzen bis dahin keusch waren, nachts die unflätigsten 
Zoten anhören, und daß manche Bordelldirne sich an der anständigen 
Frau gern für frühere Verachtung auf bequeme Art rächte, ist mensch¬ 
lich und verständlich. Und am Tage mußte die eine wie die andere auf 
dem Untersuchungsstuhle ihre geheimsten Dinge den Blicken und 
Griffen der Ärzte und des zahlreichen Unterpersonals darbieten. In ent¬ 
setzlichen Ausmaßen und auf grausamste Weise ist dort mit den leicht¬ 
empfindlichen Seelen zarter Frauen gewüstet worden. Viele bekamen 
bei der Entlassung unverdient die gelbe Kontrollkarte mit, die zu stän¬ 
diger ärztlicher Aufsicht verpflichtet, viele unverdient einen Makel für 
das ganze Leben, aus dem dann die bürgerlichen Tragödien nach dem 
Friedensschlüsse, das heißt nach der Rückkehr ihrer Männer, ent¬ 
sprangen. Die leichtfertige Denunziation einer boshaften Nachbarin, der 
Haß eines abgewiesenen Liebhabers, der Machtkitzel eines verschmähten 
deutschen Offiziers hatten ja häufig 
genügt, ein bis dahin vollkommen 
unbescholtenes Weib dem Moloch 
Lousberg in den Rachen zu treiben. 
Und selbst diejenigen, die man nach 
vier Wochen wegen Fehlens jeglicher 
Erkrankung oder nicht erbrachten 
Nachweises eines verpönten Ge¬ 
schlechtsverkehrs bedingungslos ent¬ 
lassen mußte — sie waren versengt 
von dem feurigen Gifthauche, der 
von dem eklen Geiste dieses Hospitals 
ausging. Der Volksmund hatte das 
Stift bald in Luesberg umgetauft. 
Was mit diesem Namen in Verbin¬ 
dung gebracht werden kann, wird 
zeit seines Lebens daran zu leiden 
haben23). 
Das Leben und Treiben im Innern 
solcher Frauenlazarette im Feindesland 
ist uns aus dem Roman Eugen Ortners 
»Französinnen ohne Geschlecht« be¬ 
kannt, einem eigenartigen Werk, das in 
Ut J’hann Stuewen sin Franzosentid 
»Na, Madam, kokt de Kartuffel ok?« 
»Merci, Monsieur, je ne suis pas tres bien 
portant.« 
»Kick mol, dat Flesch is ok all moeer?« 
»Oui, oui, Monsieur, c’est la guerre, c’est un 
malheur.« 
»Dat is schön, denn könn’ wi ja bald wat eten.« 
Aus »Liller Kriegszeitung«, 1915 
26 Sittengeschichte 
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