Volltext: Sittengeschichte des Weltkrieges I. Band (I. / 1930)

gezwungen wur¬ 
den"). 
Es ist hier nicht 
der Ort, die Ge¬ 
schichte der belgi¬ 
schen Okkupation 
zu schreiben und 
auf ihre Übergriffe 
zu verweisen. Auch 
die Frage der Be¬ 
rechtigung gewisser 
Verfügungen, die 
unmittelbar unter 
dem Eindruck der 
angeblichen Frank¬ 
tireurüberfälle bei der Besetzung des Landes getroffen wurden, wollen wir 
hier nur streifen. Militärisch können sie noch so begreiflich sein, vom 
menschlichen Standpunkte aus gehören sie zu den nicht seltenen Unge¬ 
heuerlichkeiten des Krieges. Sie wurden nach Kriegsende durch »Re¬ 
vanchemaßnahmen« der Ententebesatzung ad absurdum geführt: 
*) Natürlich ist es anzunehmen, daß es bei der wirtschaftlichen Not, die die ein¬ 
heimische Bevölkerung der besetzten Gebiete bedrückte, auch zu rein menschlichen 
Beziehungen zwischen hilfsbereiten deutschen Soldaten, besonders gewöhnlichen Mann¬ 
schaftspersonen, und der ansässigen Bevölkerung kam, daß die Soldaten den Frauen 
und Kindern durch Taten und Worte Trost zu spenden suchten und diese hinwieder 
im Feind auch den Menschen erkannten. Denn hatte der Krieg mit seinen Schrecken 
auch die Sinne abgestumpft, so hatte er doch halb unbewußte Erkenntnisse gebracht, 
die sich in Taten edler Nächstenliebe äußerten. Um auch diese Sitte zu beleuchten, 
folgen hier einige Sätze aus dem Roman »Loretto« von Max Heinz. Er spielt in der 
französischen Etappe unmittelbar hinter der Front. 
Wir führten in diesen Zeiten ein merkwürdiges Leben. Am Nachmittag saßen 
wir noch in Lens, in irgend einem Restaurant an weißgedeckten Tischen und ver¬ 
zehrten ein feudales Abendessen, während wir einige Stunden später im schwersten 
Granatenhagel in Stellung lagen, losgelöst von aller Kultur, die wir mit dem Ab¬ 
legen unserer frischen, aus Deutschland bezogenen und nur im Quartier benützten 
Uniform gleichsam von uns abstreiften. Wir waren jedesmal andere Menschen, wenn 
wir die Uniform wechselten. Mit den Bewohnern der Stadt lebten wir im besten 
Einvernehmen, mit der Zeit kannte das Viertel, in dem wir wohnten, fast jeden 
Soldaten. Wenn wir abends in Stellung rückten, dann bildeten die Leute eine lange 
Gasse, steckten uns irgend etwas zu, schüttelten uns die Hände und unter dem viel¬ 
stimmigen Geschrei: »Au revoir!« und »Bonne chance!« ging es von dannen. Nach 
der Rückkehr, die meist in den Morgenstunden erfolgte, galt die erste Frage den 
Verlusten, die wir erlitten hatten. Da habe ich manches teilnehmende Wort aus 
dem Munde eines behäbigen Bürgers gehört und manche verstohlene Träne bei einem 
hübschen Mädel gesehen4). 
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