Volltext: Sittengeschichte des Weltkrieges I. Band (I. / 1930)

schließlich aus arbeitslosen Dienstmädchen, Fabrikarbeiterinnen und 
Näherinnen . . . 
Je mehr Genter industrielle und gewerbliche Betriebe geschlossen 
und Männer, Frauen und Mädchen der Verdienstlosigkeit überliefert 
wurden, desto mehr vergrößerte sich die Zahl der Gelegenheitsprosti¬ 
tuierten. An die Stelle des erwerbslosen Gatten und Vaters trat die 
Mutter oder Tochter, oder auch beide, um durch die Preisgabe ihres 
Körpers die Familie zu ernähren9). 
Über die gleichen Verhältnisse in der Ostetappe schreibt Viktor 
Jungfer: 
Es gab in der Stadt viele ledige Frauen. 
Ihre Männer waren entweder gefallen oder in deutsche Gefangen¬ 
schaft geraten. Sie lebten, die jüngeren mit Kindern, die sie meist nach 
Verlust ihrer Männer empfangen hatten, in ärmlichen und gedrückten 
Verhältnissen. 
Kein Wunder war es, daß sie mit den jeweiligen Besatzungstruppen 
der Stadt Verbindung suchten. Sie wuschen Wäsche für die Soldaten, 
flickten ihre zerrissenen Sachen und erhielten von diesen dafür 
Nahrungsmittel und Feldküchenessen. 
Die Zahl der Frauen, die auf diese Weise ihre Liebe verkauften, 
war ständig im Wachsen begriffen. 
Auch junge Mädchen vom Land zogen zu dieser Zeit gern in die 
Stadt, wo ihnen ein weniger beschwerliches und arbeitsames Leben 
winkte. Diese Art der Prostitution war in den Augen der Soldaten etwas 
so Natürliches, daß sie es für ganz in der Ordnung hielten, die sich 
bietende Gelegenheit auszunützen. 
Nur wenige der Verheirateten hielten ihren Frauen zu Hause die 
Treue. Diese hatten den Spott der übrigen zu ertragen. 
Das Bild von Frau und Kind verschwand vor den Augen mancher 
so vollkommen und wurde bei langen Urlaubsverboten so undeutlich, 
daß sie ihren Briefwechsel vollkommen einstellten und daß die Frauen 
oft klägliche Briefe an die Kompagnieführer schrieben, wenn sie 
wochenlang nichts von ihren Männern gehört hatten10). 
In einem Aufsatz über das Liebesieben in Polen lesen wir: 
In Mittel- und Südpolen beteiligten sich die Frauen und Mädchen 
der handarbeitenden und teilweise auch der handeltreibenden Stände 
in einer für unsere Begriffe undenkbaren Anzahl an der Prostitution 
allerniedrigster Art, der für die Verhältnisse bezeichnenden, durch ihre 
zynische Aufdringlichkeit widerwärtigen Straßenprostitution. Lodz und 
Lowicz waren in dieser Beziehung wahre Brutstätten. Der Früh¬ 
sommer 1915 dürfte der Ausgangspunkt für die heute so grauenhaft 
wütende Volksseuche der Geschlechtskrankheiten gewesen sein. 
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