Volltext: Sittengeschichte des Weltkrieges I. Band (I. / 1930)

Der Prostitutionsfrage mußte deshalb ganz besondere Aufmerksam¬ 
keit geschenkt werden, weil das freie Dirnentum in den größeren Ort¬ 
schaften des Unterkunftsraumes sehr verbreitet war und eine Über¬ 
wachung der Prostitution von seiten der Behörden fehlte. Es wurden 
zu diesem Zwecke besondere Untersuchungsstellen eingerichtet, in 
denen in Brügge durch einen belgischen Arzt unter Aufsicht eines 
deutschen Sanitätsoffiziers, in den übrigen Orten durch deutsche 
Sanitätsoffiziere, regelmäßige Untersuchungen vorgenommen wurden. 
Diesen Untersuchungsterminen wurden außer den bekannten auch alle 
Frauenspersonen zugeführt, die sich auf der Straße oder in den »Esta- 
minets« (Bierhäusern), den hierzu bevorzugten Örtlichkeiten, Soldaten 
gegenüber auffällig benahmen. Erkrankte Mädchen kamen bis zur 
Heilung in ein besonderes Krankenhaus in Brügge, das von einem Sani¬ 
tätsoffizier geleitet wurde, dem belgische Ärzte halfen8). 
Ohne jede Romantik deckt uns den Zusammenhang zwischen Kriegsnot 
und geheimer Prostitution in Belgien Wandt auf: 
Gent, das länger als vier Jahre Etappenhauptort war, bot das reichste 
Feld für das Studium des grenzenlosen Elends, das der Kriegswahnsinn 
über Millionen von Frauen und Mädchen herauf beschworen hatte. 
Die bereits erwähnte gewissenhafte Statistik des Etappenarztes zeigte 
daß mehr als vier Fünftel 
der unter polizeilicher 
Kontrolle stehenden Ge¬ 
legenheitsprostituierten 
verheiratete Frauen und 
meist Mütter von drei bis 
acht Kindern und darüber 
waren, deren Ernährer 
als Soldaten im Felde oder 
in deutscher Kriegsgefan¬ 
genschaft oder aus Gent 
geflüchtet waren. 
Sie trieb nicht die »Lust 
am Laster« in die Arme 
der feindlichen Soldaten, 
sondern der Schrei nach 
Brot, den ihre hungern¬ 
den Kinder tagtäglich aus¬ 
stießen. 
Die ledigen Gelegen¬ 
heitsprostituierten rekru¬ 
tierten sich beinahe aus- 
Kriegspatin und Patenkind oder das ungleiche Paar 
Zeichnung von Reb in »Fantasio«, 1917 
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