Volltext: Sittengeschichte des Weltkrieges I. Band (I. / 1930)

-sie für sich auch praktisch zogen. Für das, was im 19. Jahrhundert durch- 
gehends als Frauenemanzipation bezeichnet wurde, haben die zu Weltruf 
gelangten Frauen eigentlich wenig getan. Von Aspasia bis Madame Curie 
oder Eleonora Düse haben sich die wenigsten Frauen bemüht, das Privileg, 
“das ihnen ihr Genie zu sicherte, als Recht für ihr Geschlecht zu erkämpfen 
und zu behaupten. Vielleicht war es die einzige George Sand, die in 
ihren Schriften, aber auch in der Gesellschaft und im persönlichen Ver¬ 
kehr eine Emanzipationistin war und das Recht, von dem sie ausgiebig 
Gebrauch machte, das Recht, auf männliche Art zu schaffen, zu leben 
und sich zu kleiden, auch für die anderen Frauen forderte. Allerdings 
unterliegt es kaum einem Zweifel, daß George Sand im Grunde, auch 
was ihr Arbeitstempo anbelangt, ein verkappter Mann war, so daß 
Weininger mit Recht darauf hinweist, daß sie in ihrer abwechslungs¬ 
reichen Vita sexualis immer feminine Männer bevorzugte*). In Wirklich¬ 
keit ist die politische Emanzipation den wenigsten großen Frauen nahe¬ 
gegangen. Viel wichtiger war ihnen die erotische Freiheit, die sie für sich 
in Anspruch nahmen und mehr oder minder auch ihren Geschlechtsgenos- 
-sinnen gerne gesichert hätten. 
Solange die wirtschaftliche Notwendigkeit einer Emanzipation nicht 
vorliegt, bleiben alle diese und ähnliche Bestrebungen ideologische Hirn¬ 
gespinste, deren Wirkung auf einige Ausnahmsexemplare der Weiblich¬ 
keit beschränkt bleibt, die sich bezeichnenderweise allerdings schon im 
19. Jahrhundert »Emanzipierte« nannten. Ebensowenig hätten auch alle 
*) Das wissenschaftliche Verständnis der Persönlichkeit George Sands verdanken 
wir den Untersuchungen Magnus Hirschfelds. Demnach haben wir es bei ihr mit einer 
transvestitischen Metatropistin zu tun. Transvestitismus ist nach Hirschfeld »der Drang, 
in der äußeren Gewandung des Geschlechts aufzutreten, dem eine Person nach ihren 
sichtbaren Geschlechtsorganen nicht zugehört«. Tatsächlich hat sich die Sand nicht nur 
in männlichen Kleidern gefallen, sondern sich auch den männlichen Vornamen George 
heigelegt (Namenstransvestitismus). Den Metatropismus ferner haben wir, ebenfalls 
nach Hirschfeld, von dem der Ausdruck auch geprägt wurde, als Aggressionsinversion 
.aufzufassen, das heißt, der metatropische Mann weist die Passivität, die die natürliche 
Haltung der Frau im Sexualleben ist, und die Frau die dem Manne in seinem Liebes¬ 
ieben eigene Aktivität und Angriffslust auf. Wie groß die Bedeutung des metatropischen 
Frauentypus (zu dem auch Sand gehört) im allgemeinen für die Frauenbewegung ist, 
erklärt uns Hirschfeld, indem er die Frage »was das metatropische Weib zu sein 
wünscht?« beantwortet: »In ihrem Beruf erstrebt sie vor allen Dingen Selbständigkeit, 
Unabhängigkeit vom Manne. Wie der metatropische Mann (der Masochist) die Er¬ 
niedrigung, so will sie die Erhöhung über die dem Weibe von der jeweiligen Gesell¬ 
schaft im allgemeinen zuerkannte Stufe . . . Eine nicht geringe Anzahl metatropischer 
Frauen finden wir unter Erzieherinnen, auch unter Künstlerinnen und Schrift¬ 
stellerinnen, ebenso unter Chefinnen und Direktorinnen jeder Art, von Schulreiterinnen, 
Fachlehrerinnen, Athletinnen, Kriegerinnen und Masseusen ganz zu schweigen.« 
(Sexualpathologie, II. Teil, V. Kap., S. 253.) Man möge dem weiter über die Zusammen¬ 
hänge zwischen Erotik und Frauenemanzipation Gesagten diese Ausführungen hinzufügen. 
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