Volltext: Sittengeschichte des Weltkrieges I. Band (I. / 1930)

Kriegsteilnehmern, die nicht das Glück 
hatten, die Jahre des Weltenbrandes im 
Liebesparadies der Etappe zu verleben, 
genau so wie den italienischen Futu¬ 
risten mit der vielgepriesenen Aktions¬ 
freiheit, in deren Namen ihr Prophet 
Marinetti das Eingreifen Italiens in den 
Krieg gefordert hatte. Es stellte sich 
heraus, daß in diesem Kriege von Unge¬ 
bundenheit des Auslebens keine Rede 
sein konnte, daß moderner Krieg viel¬ 
mehr unmenschliche Disziplin, entwür¬ 
digende Manneszucht, Knebelung aller 
freien Äußerungen bedeutete. Wie über¬ 
all, so auch im Geschlechtsleben. Im 
Schützengraben hörte der gemeine Sol¬ 
dat auf, Mensch zu sein. Was aber noch 
entsetzlicher ist und uns an dieser Stelle 
Zeichnung von Herouard in »Fantasie«, 1916 beschäftigen soll, war, daß er, durch die 
veränderten Lebensverhältnisse ge¬ 
zwungen, im selben Maße auch aufhören mußte, Mann zu sein. Im 
Schützengraben war für ein Sexualleben, zumindest für ein normales, kein 
Platz. Hier wurde man zum Tier, ohne das Recht des Tieres auf die freie 
Betätigung der mächtigsten Instinkte zu genießen. 
Es ist ebenso bezeichnend wie traurig, daß sich die Wissenschaft 
auch hier willig in den Dienst der Kriegsinteressen stellte. Namentlich 
deutsche Mediziner waren mit gar verdächtigem Eifer bestrebt, Loblieder 
der Abstinenz anzustimmen, während man auf französischer Seite eine 
systematische Behandlung 
dieser Frage vermied und in 
England an der Überliefe¬ 
rung festhielt, Probleme des 
Sexuallebens vor der Öffent¬ 
lichkeit möglichst wenig zu 
erörtern. In der deutschen 
medizinischen Wissenschaft 
hatte es freilich auch schon 
früher Gelehrte gegeben, die 
sich zur Ansicht der Un¬ 
schädlichkeit, ja sogar Nütz¬ 
lichkeit der sexuellen Ent¬ 
haltsamkeit bekannten. So 
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