Volltext: Die Gletscher der Ostalpen

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Firnlinie nach Heim. 
welche Veränderungen schon in wenigen Tagen eintreten werden. Es 
kann Neuschnee fallen, der in diesem Jahre nicht mehr wegschmilzt, 
und der beobachtete Zustand war wirklich der des höchsten Zurück- 
weichens der Schneedecke auf dem Gletscher. Es kann aber die Ab- 
schmelzung auch bis in den Oktober fortdauern oder, nach einer Schmelz 
periode im Juli und einer mehrwöchentlichen Neuschneedecke im August, 
im September abermals eine Trockenperiode mit weitem Hinaufrücken 
der Schneedecke eintreten. Man ist also niemals in der Lage, anzu 
geben; welchen Augenblick in dem Ablauf des Gletscherprozesses man 
gerade erhascht hat, und ob derselbe dem Maximum der Abschmelzung 
in dem betreffenden Jahre nahe liegt oder nicht. 
Dasjenige Kennzeichen, welches nach oberflächlicher Ueberlegung 
als erstes und nächstliegendes für die Ermittelung der Schneegrenze 
sich darzubieten scheint, nämlich die Höhe, bei welcher der Eisstrom 
aus der Schneemasse austritt, versagt uns also vollständig. 
Heim hat auch den Begriff der Firnlinie ganz anders gefasst 
als Hugi und die meisten anderen Forscher. Er geht von der Beob 
achtung aus, dass in einer Tiefe von einigen Metern der Firn in der 
ganzen Ausdehnung seiner Lagerung durch Druck und Schmelzwasser 
in Eis verwandelt wird, so dass ein grosses Firnfeld eigentlich als eine 
Masse von Firneis anzusehen ist, welche mit einer wenige Meter tiefen 
Schicht von Firn bedeckt ist. Beide Schichten sind deutlich vonein 
ander getrennt und in warmer Jahreszeit durch ein dünnes Lager von be 
sonders breiigem, durchnässtem Firn geschieden. Wo diese Zwischen 
schicht ausgeht, da ist die Firnlinie. Ist der Sommer wann und 
trocken, so wird auch an vielen höher gelegenen Stellen der eigentliche 
Firn weggeschmolzen, und das Eis tritt zu Tage (Gletscherk., S. 108). 
Das ist etwas ganz anderes als Hugis Höhenlinie, „wo der jährliche 
Schnee nicht mehr ganz wegschmilzt“. Denn dass die Firnschicht, 
welche auf dem Firneis liegt, gerade einer Jahresschicht entspräche, 
dafür haben wir gar keinen Beweis. Es scheint nötig, den Umstand 
klarzustellen, dass verschiedene Autoren ebenso wie mit dem Ausdruck 
Schneelinie auch mit dem Worte Firnlinie einen verschiedenen Sinn 
verbunden haben. 
Eine sehr merkwürdige Ansicht über Schnee- und Firnlinie hat 
Julius Payer aufgestellt 1 ). Gestützt auf die Beobachtung, dass (offenbar 
durch Wind und starke Besonnung) viele Grate und Gipfel der Alpen 
selbst hoch über 3000 m schneefrei werden, und dass während der Zeit 
seiner alpinen Forschungen (1864 bis 1869) die Gletscher in starkem 
Rückgang waren, behauptet er: Es gibt überhaupt keine Schneeregion 
in den Alpen in dem Sinne, dass in irgend einer Höhenzone der Nieder 
schlag nicht mehr von der Wärme aufgezehrt werden könnte; die trotz 
dem vorhandenen Gletscher sind nichts anderes als Ueberbleib sei aus 
der Eiszeit, welche sich nur noch durch die „aus der Eiszeit über 
lieferte Kältesumme“ erhalten, indem sie selbst durch die Abkühlung, 
J ) lieber die Firnlinie und die sogenannte Schneelinie. Mitteil, der Geogr. 
Gesellschaft jin Wien, 1869, S. 432 u. 434; ebenso Jahrb. des Oesterr. Alpen 
vereins, VII, 104, und Petermanns Mitteil., XVII, S. 124.
	        
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