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Westliche Tauern.
dem Kamme, der die rechte Thalseite begleitet, die Südlehne trotz
gleicher Höhe schneefrei bleibt. Der Pflanzenwuchs zeigt auffallende
Unterschiede, wobei ich mich freilich mehr auf den allgemeinen Ein
druck, als auf einzelne Daten berufen kann. Ich denke, es kann das
keinem aufmerksamen Beobachter entgehen, der die Nord- und Süd
seite der Gruppe nacheinander sieht.
Ausserdem sind aber die beiden genannten Gletscher noch da
durch ausgezeichnet, dass sie, wie auch bereits erwähnt, hochliegende
Betten haben und nicht tief herabdringen können. Immerhin bleibt
der Gegensatz zwischen ihnen und z. B. den beiden Gletschern des
Maurerthaies auffallend genug.
Recht lehrreich ist der Vergleich zwischen einem der Gletscher
der Südseite der Venedigergruppe und dem einzigen grossen, südlich
schauenden Gletscher des Oetzthales, dem Vernagt. Um z. B. am
Vernagt das Verhältnis 2 : 1 zu erhalten, muss man die Teilung höher
als 3100 m verlegen, während man dies Verhältnis beim Umbai schon
bald oberhalb 2700 m erreicht.
Man wird sich nicht verhehlen dürfen, dass der Gebirgsbau der
Venedigergruppe der Gletscherentwickelung in der Weise günstig ist,
dass die Thäler gerade die richtigen Masse besitzen, um Thalgletscher
mittlerer Grösse zu Erzeugen, wodurch die Gesamtsumme der Ver
gletscherung vergrössert wird. Vergleicht man unsere Gruppe mit
dem Oetzthaler- oder dem Martellergebiet, so wird man überrascht
von der Vielheit kurzer und besonders sehr schmaler Thäler, vorzüg
lich auf der Südseite. Auch auf der Nordseite sind wenigstens einige
Thäler — besonders Untersulzbach und Habach — ziemlich eng.
Die Kahre des Thalhintergrundes sind einander so nahe gerückt, dass
ihre Firnmassen einander berühren und zu einer Zunge verschmelzen
können, während bei grösserer Thalweite nur eine Reihe von neben
einanderliegenden Kahrgletschern bleibt und keine Zunge entsteht.
Man vergleiche z. B. den Kessel des Windacherthales oder das hin
terste Stubay mit Umbai-, Maurer-, Dorferthal u. s. w. Besonders
ungünstig für die Entstehung grosser Gletscher ist der Fall, der im
Oetzthal, Pitzthal und Marteil so häufig vorkommt, dass in ein breites
Hauptthal — breit in dem Sinne der Entfernung der beiden Kämme,
die Sohle kann dabei eng bleiben — beiderseits Reihen paralleler
grosser Kahre münden, deren jedes dann seinen eigenen, ziemlich
grossen, aber doch nicht primären Gletscher beherbergt, wie z. B. die
öfter besprochenen Kahre des Vent-Gurglerkammes. Es ist aber wieder
holt hervorgehoben worden, dass die Entstehung von bedeutenden
Zungen die Erhaltung des Eises, also die Vergrösserung der Eis
bedeckung wesentlich fördert. Nur durch die ausserordentliche Grösse
einiger primärer Gletscher des Oetzthales wird es bewirkt, dass das
Verhältnis des von den primären Gletschern eingenommenen Raumes
zu der Gesamtvergletscherung bei beiden Gruppen gleich, nämlich
52 °/o ist.
Wenden wir uns zu den kleinen Gletschern, so sehen wir, dass
Gipfel, welche 2900 m gerade noch erreichen, auf den nordseitigen
Gehängen regelmässig verfirnt sind. Ja, es gibt selbst Firnfelder,,