Volltext: Vom Eintreffen der serbischen Antwortnote in Berlin bis zum Bekanntwerden der russischen allgemeinen Mobilmachung (2 / 1919)

73 
die einflußreichste und unterrichtetste Persönlichkeit dort ist. Er 
gab mir wiederum zu verstehen, daß nach ihren Nachrichten der 
Dreibund die Probe eines Weltkriegs nicht bestehen würde. Er 
wisse, daß Italien sich an einem wegen Serbien ausgebrochenen 
Weltkrieg nicht beteiligen würde, und wir sollten uns durch anders 
lautende amtliche Nachrichten nicht täuschen lassen. Ich vermute, 
daß diese Auffassung auf der Berichterstattung Sir Renel Rodds be¬ 
ruht, und ich hatte nicht den Eindruck, daß Sir W. Tyrrell sie er¬ 
funden hat, um uns einzuschüchtern. 
Lichnowsky 
Nr. 356 
Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt1 
Telegramm 128 Wien, den 29. Juli 19141 2 
Über seine heutige Unterredung mit Schebeko teilte mir Graf 
Berchtold mit, daß der russische Botschafter sehr konziliant in der 
Form gewesen, innerlich aber scheinbar ziemlich erregt gewesen sei, 
denn er sei kreideweiß gewesen. Der russische Botschafter hat 
ungefähr die gleiche Sprache geführt wie Sasonow dem Grafen 
Szapäry gegenüber, er hat davon geredet, daß sich wohl noch ein 
Modus finden ließe, um beide Teile, Österreich und Serbien, zu be¬ 
friedigen. Der Minister hat dem freundschaftlich entgegengehalten, 
er, der Botschafter, werde wohl in den letzten Tagen die Stimmung 
der Bevölkerung in Wien und in der Monarchie beobachtet haben 
und daraus ersehen haben, daß ein weiteres Paktieren mit Serbien 
für jede österreichisch-ungarische Regierung ganz unmöglich geworden 
sei, sie würde einfach hinweggefegt werden. Schebeko habe dann 
noch weiter, aber mit wenig innerer Überzeugung, mit dem Be¬ 
merken, daß er die Stimmung hier ja begreife, den Faden des 
Versuchs weiterer Pourparlers mit Serbien weiter gesponnen, ohne 
aber bestimmte Anträge oder Wünsche zu äußern. Die ganze 
Unterhaltung sei in freundschaftlichem Ton geführt worden. 
Tschirschky 
1 Nach der Entzifferung. 
2 Aufgegeben in Wien 20 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt 57nachm., 
Eingangsvermerk: 29. Juli nachm. Für die Mitteilung an den Botschafter 
in Petersburg lag Entwurf Bergens vom 29. Juli vor, Mitteilung ist dann 
aber nicht erfolgt.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.