Volltext: Vom Eintreffen der serbischen Antwortnote in Berlin bis zum Bekanntwerden der russischen allgemeinen Mobilmachung (2 / 1919)

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sind die Tore geöffnet. Sasonow freut sich, denn die Arbeit der 
Diplomaten, die beinahe aufgehört hätte, kann nun von neuem be¬ 
ginnen. Hätte Österreich noch gestern abend Belgrad besetzt, wäre 
die Welt vor ein Fait accompli gestellt worden. Ein Tropfen 
serbisches Blut konnte als Sühne angesehen werden, Österreich hatte 
es in der Hand, weiteres Blutvergießen zu vermeiden und in Ver¬ 
mittlungsvorschläge einzutreten. Die Meinung Rußlands »TAutriche 
aboie mais ne mord pas« wird nun von neuem Nahrung erhalten. — 
Zum Besuch Poincares bemerke ich noch alleruntertänigst, daß 
der Kaiser, so oft ich es beobachten konnte, ihn sehr kühl und von 
oben herab behandelte, was auch in der ganzen Umgebung auf¬ 
gefallen ist. Unter den alten Herren im Hauptquartier will man 
überhaupt von der Entente mit Frankreich wenig wissen und neigt 
vielmehr zum Monarchenbund mit Deutschland hin. Dem Kaiser 
selbst ist, wie mir Baron Grünwald sagte, die ganze Franzosen¬ 
freundschaft unsympathisch, was S. M. oft geäußert haben soll. Der 
Tod des alten Fürsten Meschtschersky, des Herausgebers des »Grash- 
danin«, den S. M. täglich liest, bedeutet hierfür einen großen Ver¬ 
lust, und die deutschfreundliche Presse hat mit ihm eine ihrer 
wenigen Stützen verloren. In der jetzigen Krisis hätte er ein 
kräftiges Wort gesprochen. 
von C h e 1 i u s 
Generalleutnant und General ä la suite 
Nr. 292 
Der Botschafter in Paris an den Reichskanzler1 
Paris, den 24. Juli 19141 2 
Bei meiner Unterredung mit dem den Ministerpräsidenten und 
Minister des Äußern vertretenden Justizminister Plerrn Bienvenu- 
Martin über den österreichisch-serbischen Konflikt habe ich mit be¬ 
sonderem Nachdruck hervorgehoben, daß die k. Regierung 
den Streit als eine ausschließlich zwischen den beiden Beteiligten 
auszutragende Sache betrachte und sich der Hoffnung hingebe, daß 
wie sie selbst, so auch die Regierungen anderer Mächte, aufs 
ernsteste für Lokalisierung des Konfliktes bemüht sein werden. 
Die hiesige Auffassung nach den ersten Eindrücken ist Ew. Exz. 
bereits bekannt — eigener Wille zur Nichteinmischung, aber dieser 
1 Nach der Ausfertigung. 
2 Abgegangen 26. Juli; Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 28. Juli vorm.
	        
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