Volltext: Vom Eintreffen der serbischen Antwortnote in Berlin bis zum Bekanntwerden der russischen allgemeinen Mobilmachung (2 / 1919)

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einfach gleichgültig zusehen. Österreich hätte Rußland von einer 
solchen Note verständigen müssen; so aber ist es eine Beleidigung 
einer Großmacht, welche mit Serbien befreundet ist und dieses nicht 
der Willkür Österreichs preisgeben kann.« Dies die Ansicht des 
Kriegsministers'. 
Zweitens die Ablehnung einer Fristverlängerung. 
»Rußland hat den guten Willen gezeigt, noch vor Ablauf der 
Frist vermittelnd einzugreifen; die Ablehnung ist ein unerhörter 
Affront Österreichs, das uns behandelt, als wenn wir nicht da wären. 
Unter Anerkennung aller Empörung in Österreich über das Atten¬ 
tat in Sarajevo durfte es nicht in einer Weise handeln, die allen 
diplomatischen Gepflogenheiten widerspricht. Ein Krieg zwischen 
Österreich und Serbien ist Krieg mit Rußland.« Dies die Ansicht 
der Umgebung des Kaisers. Alle Einwendungen prallten ab, da 
diese Parole ausgegeben war. 
Drittens die Ansicht, daß man in Berlin von der Note Kenntnis 
gehabt und sie gebilligt habe. Letzteres wurde bereits dementiert, 
aber die Annahme hat den Eindruck hervorgerufen, daß nach dem 
Besuch von Poincare, der ein festeres Zusammenschließen Rußlands 
und Frankreichs erzielt habe, vom Dreibund aus der russischen 
Monarchie ein Schlag mit der Faust ins Gesicht versetzt werden 
sollte, und dazu habe man das unglückliche Serbien gewählt, um es 
mit einem Fuß zu zertreten und den Ententemächten die Stirn zu 
bieten. 
Diese drei Faktoren haben eine ungeheure Erregung entfacht. 
Auf der anderen Seite erhoffen die älteren Herrn, wie General 
Fredericksz, der großen Einfluß beim Kaiser hat, eine Vermittlung 
Englands, dessen Desinteressement nach den Erklärungen der 
»Westminster Gazette« ihnen nicht sehr willkommen, aber doch in 
diesem Falle praktisch erscheint. 
Die Besorgnis, einen Krieg führen zu müssen, während in ganz 
Rußland der Aufruhr der Arbeitermassen brennt, steht doch 
manchem höher als das Interesse an Serbien, denn man fürchtet, 
daß die Demonstrationen von mehreren hunderttausend Arbeitern, 
die besonders in Petersburg beinahe revolutionären Charakter trugen, 
auch der Mobilmachung dadurch Eintrag tun könnten, daß man in 
allen großen Städten starke Truppenkontingente zurücklassen muß. 
Gestern abend 6 Uhr lief die Frist der Note in Belgrad ab. Ein 
General der Suite, mit dem ich gerade in Krasnoje im Gespräch 
war, sah nach der Uhr und sagte: »Nun werden wohl die Kanonen 
auf der Donau mit dem Feuer begonnen haben, denn eine solche 
Note kann man doch nur dann absenden, wenn die Kanonen geladen 
sind.« 
Dies ist jedoch nicht geschehen, und Österreich scheint abzu¬ 
warten. Damit ist wohl die Krisis vorüber, und der Vermittlung
	        
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