Russische Mobilisation bedeute aber noch keineswegs wie in
Westeuropa den Krieg, russische Armee könne lange Zeit Gewehr
bei Fuß stehen, ohne Grenze zu überschreiten, Beziehungen zu Wien
seien nicht abgebrochen, und Rußland wolle, wenn irgend möglich,
Krieg vermeiden. Wir haben Petersburg darauf aufmerksam gemacht,
daß Mobilisation wahrscheinlich österreichische Gegenmaßregel hervor-
rufen würde und Stein dadurch ins Rollen kommen könnte.
Rußland beschwert sich, daß Unterhaltungen weder durch Herrn
Schebeko noch durch Graf Szapary Fortlauf genommen hätten. Wir
müssen daher, um allgemeine Katastrophe aufzuhalten oder jeden¬
falls doch Rußland ins Unrecht zu setzen, dringend wünschen, daß
Wien Konversationen gemäß Telegramm Nr. 1744 beginnt und fortsetzt.
Bethmann Hollweg
4 Siehe Nr. 323.
Nr. 386
Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt1
Telegramm 130 Wien, den 29. Juli 19141 2
Mein russischer Kollege besuchte mich soeben. Er sagte, die
Situation sei sehr kompliziert. Car la Russie se voit dans la necessite
de mobiliser. 4 Militärbezirke 7— er glaube Moskau, Odessa, Kiew,
Kasan —- würden mobilisiert. Das, was er mir sage, sei offiziell
und werde übrigens auch in Berlin mitgeteilt.
Seinen sonstigen Ausführungen war noch zu entnehmen,
daß seiner Ansicht nach eine Lokalisierung des österreichisch-
serbischen Konflikts unmöglich erscheine. Rußland fühle sich in
seiner Stellung als Großmacht bedroht, infolge des Vorgehens Öster¬
reichs gegen Serbien.
Ich habe mich im Sinne der Telegramme Nr. 1723 4 und Nr. 1764
ausgesprochen und besonders auf das von Österreich erklärte terri¬
toriale Desinteressement hingewiesen. Herr von Schebeko meinte
aber, so eine Erklärung habe gar keinen Wert.
Mein französischer Kollege besuchte mich hierauf. Wie dieser
mir sagte, hat Herr von Schebeko ihm kurz vorher die gleiche Mit¬
1 Nach der Entzifferung.
2 Aufgegeben in Wien 29. Juli 730 nachm., angekommen im Auswärtigen Amt
30. Juli 1240 \orm.; Eingangsvermerk: 30. Juli vorm.
3 Siehe Nr. 309.
4 Siehe Nr. 315 Anm. 2.