Volltext: Vom Attentat in Sarajevo bis zum Eintreffen der serbischen Antwortnote in Berlin (1 / 1919)

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daß dieses große Reich durch seine Lage und durch Verträge vom 
freien Meer noch immer so gut wie abgeschnitten ist, dann begreift 
man die Notwendigkeit des der russischen Politik seit jeher 
immanenten aggressiven Charakters. 
Man kann Rußland vernünftigerweise territoriale Eroberungspläne 
gegen das Deutsche Reich nicht zumuten; trotzdem sind die außer¬ 
gewöhnlichen Rüstungen und kriegerischen Vorbereitungen, der Aus¬ 
bau strategischer Bahnen gegen Westen etc. in Rußland sicherlich 
mehr noch gegen Deutschland als gegen Österreich-Ungarn gerichtet. 
Denn Rußland hat erkannt, daß die Verwirklichung seiner, einer 
inneren Notwendigkeit entspringenden Pläne in Europa und Asien 
in erster Linie höchst wichtige Interessen Deutschlands verletzen 
und daher auf dessen unausweichlichen Widerstand stoßen müßte. 
Die Politik Rußlands ist durch unveränderliche Verhältnisse 
bedingt und deshalb eine stetige und weitausblickende. 
Die manifesten Einkreisungstendenzen Rußlands gegen die 
Monarchie, die keine Weltpolitik treibt, haben den Endzweck, dem 
Deutschen Reiche den Widerstand gegen jene letzten Ziele Rußlands 
und gegen seine politische und wirtschaftliche Suprematie unmöglich 
zu machen. 
Aus diesen Gründen ist die Leitung der auswärtigen Politik 
Österreich-Ungarns auch davon überzeugt, daß es ein gemeinsames 
Interesse der Monarchie wie nicht minder Deutschlands ist, im 
jetzigen Stadium der Balkankrise rechtzeitig und energisch einer von 
Rußland planmäßig angestrebten und geförderten Entwicklung ent¬ 
gegenzutreten, die später vielleicht nicht mehr rückgängig zu 
machen wäre. 
Die vorliegende Denkschrift war eben fertiggestellt, als die 
furchtbaren Ereignisse von Sarajevo eintraten. 
Die ganze Tragweite der ruchlosen Mordtat läßt sich heute 
kaum überblicken. Jedenfalls ist aber, wenn es dessen noch bedurft 
hat, hierdurch der unzweifelhafte Beweis für die Unüberbrückbarkeit 
des Gegensatzes zwischen der Monarchie und Serbien sowie für die 
Gefährlichkeit und Intensität der vor nichts zurückschreckenden 
großserbischen Bestrebungen erbracht worden. 
Österreich-Ungarn hat es an gutem Willen und Entgegenkommen 
nicht fehlen lassen, um ein erträgliches Verhältnis zu Serbien herbei¬ 
zuführen. Es hat sich aber neuerlich gezeigt, daß diese Bemühungen 
ganz vergeblich waren und daß die Monarchie auch in Zukunft mit 
der hartnäckigen, unversöhnlichen und aggressiven Feindschaft Serbiens 
zu rechnen haben wird. 
Um so gebieterischer tritt an die Monarchie die Notwendigkeit 
heran, mit entschlossener Hand die Fäden zu zerreißen, die ihre 
Gegner zu einem Netze über ihrem Haupt verdichten wollen.
	        
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