Volltext: Vom Attentat in Sarajevo bis zum Eintreffen der serbischen Antwortnote in Berlin (1 / 1919)

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auswärtigen Lage erfaßt hätten. In erster Linie sei es Rußland, 
welches dieser Beunruhigung und den daraus hervorgehenden Be¬ 
strebungen für eine weitere Vermehrung unserer Rüstungen Nahrung 
zuführe, und ich könne in dieser Hinsicht ganz besonders auf den 
Artikel der »Nowoje Wremja« verweisen, welcher in Deutschland 
unliebsames Aufsehen erregt hätte. Angesichts- der Möglichkeit, 
daß ein Balkankrieg wiederum ausbräche und daß Rußland sich als¬ 
dann zu einer etwas aktiveren Auslandspolitik entschlösse, erschien 
es uns von größter Wichtigkeit, daß die intime Fühlungnahme, 
welche zwischen uns während der letzten Krise bestand, auch allen 
zukünftigen Ereignissen gegenüber aufrechterhalten bliebe, um auf 
Grundlage gemeinsamer Verabredung einer kriegerischen Politik er¬ 
folgreich begegnen zu können. Ich wies den Minister ferner darauf 
hin, daß nur durch die Aufrechterhaltung der bisherigen deutsch - 
britischen Intimität, gepaart mit unserer Überzeugung, daß er auch 
in Zukunft bestrebt sein werde, kraft seines weitreichenden Einflusses 
in Paris und Petersburg allen abenteuerlichen Regungen entgegen¬ 
zutreten, es der Kaiserlichen Regierung möglich sein werde, das auch 
bei uns zeitweise überhandnehmende Rüstungsfieber niederzuhalten 
und den Rahmen der bestehenden Wehrgesetze einzuhalten. Ich 
vermied es dabei absichtlich,* auf unser Flottengesetz näher ein¬ 
zugehen, da ich dieses heikle Thema mit dem Minister seit meiner 
Ankunft in London noch nie berührt habe und er auch es bisher 
sorgsam unterlassen hat, diesen Gegenstand mit mir zu erörtern. 
Der Minister nahm meine Eröffnungen mit sichtlicher Befriedigung 
zur Kenntnis und sagte, daß es ebenso sein Bestreben sei, mit uns 
auch ferner Hand in Hand zu gehen und allen auftretenden Fragen 
gegenüber in enger Fühlung zu bleiben. Er habe in dieser Absicht 
soeben mit mir die gegenwärtige orientalische Lage besprochen und 
glaube, daß dieser Weg für unsere beiderseitigen Ziele der geeignete 
sei. Was Rußland beträfe, so habe er nicht den geringsten Grund, 
an den friedlichen Absichten der russischen Regierung zu zweifeln. 
Daß Graf Benckendorff hier keine deutschfeindliche Politik betreibe, 
brauche er mich nicht erst zu versichern. Kaiser Nikolaus und 
Herr Sasonow sprächen sich stets in friedlichem Sinne Sir George 
W. Buchanan gegenüber aus; nur sei es nicht zu leugnen, daß Herr 
Sasonow den Wunsch hege, gewissermaßen als Gegengewicht gegen 
den festgefügten Block des Dreibundes den Dreiverband etwas kräftiger 
in die Erscheinung treten zu lassen. Was aber den Artikel der 
»Nowoje Wremja« beträfe, auf den ich angespielt hätte, so sei er 
ihm, dem Minister, überhaupt nicht bekannt. Lachend fügte er 
hinzu, er habe erst gestern abend einen heftigen Angriff des gedachten 
Blattes gegen Großbritannien zu Gesicht bekommen wegen des per¬ 
sischen Ölabkommens. Was aber Frankreich anlange, so wisse er 
aus guter Quelle und würde in dieser Auffassung auch durch fremde, 
z. B. amerikanische Nachrichten bestärkt, daß die Franzosen nicht 
die geringste Lust zu einem Kriege verspürten.
	        
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