Volltext: Vom Attentat in Sarajevo bis zum Eintreffen der serbischen Antwortnote in Berlin (1 / 1919)

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Nr. 277 
Der Reichskanzler an den Botschafter in Wien1 
Telegramm 169 Berlin, den 27. Juli 19141 2 
Fürst Lichnowsky telegraphiert soeben3: 
Sir E. Grey ließ mich soeben kommen und bat mich, Ew. Exz. 
nachstehendes zu übermitteln. 
Der serbische Geschäftsträger habe ihm soeben den Wortlaut 
der serbischen Antwort auf die österreichische Note übermittelt4. 
Aus derselben gehe hervor, daß Serbien den österreichischen 
Forderungen in einem Umfange entgegengekommen sei, wie er es 
niemals für möglich gehalten habe; bis auf einen Punkt, der Teil¬ 
nahme österreichischer Beamter an den gerichtlichen Unter¬ 
suchungen, habe Serbien tatsächlich in alles eingewilligt, was von 
ihm verlangt worden sei. Es sei klar, daß diese Nachgiebigkeit 
Serbiens lediglich auf einen Druck von Petersburg %urück- 
^ufUhren sei5. 
Begnüge sich Österreich nicht mit dieser Antwort, bzw. 
werde diese Antwort in Wien nicht als Grundlage für friedliche 
Unterhandlungen betrachtet, oder gehe Österreich gar zur Besetzung 
von Belgrad vor,, das vollkommen wehrlos daliegt, so sei es voll¬ 
kommen klar, daß Österreich nur nach einem Vorwand suche, um 
Serbien zu erdrücken. In Serbien solle aber alsdann Rußland 
getroffen werden und der russische Einfluß auf dem Balkan. Es 
sei klar, daß Rußland dem nicht gleichgültig Zusehen könne und 
es als eine direkte Herausforderung auffassen müsse. Daraus 
würde der fürchterlichste Krieg entstehen, den Europa jemals 
gesehen habe, und niemand wisse, wohin ein solcher Krieg 
führen könne. 
Wir hätten uns, so meinte der Minister, wiederholt und so 
noch gestern6 mit der Bitte an ihn gewandt, in Petersburg in 
mäßigendem Sinne vorstellig qu werden. Er habe diesen Bitten 
stets gern entsprochen und sich während der letzten Krise Vor¬ 
würfe aus Rußland zugezogen, daß er sich zu sehr auf unsere und 
zu wenig auf ihre Seite stelle. Nun wende er sich mit der Bitte 
an uns, unseren Einfluß in Wien dahin zur Geltung zu bringen, 
daß man die Antwort aus Belgrad entweder als genügend betrachte 
oder aber als Grundlage für Besprechungen. Er sei überzeugt, 
daß es in unserer Hand liege, durch entsprechende Vorstellungen 
1 Nach dem Konzept von der Hand des Reichskanzlers. 
3 1150 nachm, zum Haupttelegraphenamt, dort abgefertigt 28. Juli 1246 vorm., 
auf der Botschaft in Wien angekommen 530 vorm. 
3 Siehe Nr. 258 und 258 Anm. 2. 
4 Abgedruckt im österreichisch-ungarischen Rotbuch I Nr. 25. Französischen 
Text siehe auch Nr. 271. 
5 In der dem Kaiser vorgelegten Abschrift am Rand Fragezeichen des Kaisers. 
* Siehe Nr. 199 und 218.
	        
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