Volltext: Vom Attentat in Sarajevo bis zum Eintreffen der serbischen Antwortnote in Berlin (1 / 1919)

Nr. 244 
Der Botschafter in Rom an den Reichskanzler1 
Bei gestriger Diskussion mit Herrn Salandra und Marquis di 
San Giuliano3, die wiederholt zu scharfen Zusammenstößen zwischen 
dem Marquis di San Giuliano und mir führte, schienen sich auf 
italienischer Seite drei Punkte abzuzeichnen. Erstens Furcht vor 
der öffentlichen Meinung Italiens, zweitens das Bewußtsein militäri¬ 
scher Schwäche und drittens der Wunsch, bei dieser Gelegenheit 
etwas für Italien herauszuschlagen, wenn möglich das Trentino. 
Die Möglichkeit, daß Italien sich eventuell auch gegen Öster¬ 
reich wenden könnte, sprach Marquis di San Giuliano nicht direkt 
aus, sie klang nur in leisen Andeutungen durch. Ich habe diese 
Andeutungen nicht aufgegriffen, weil ich es für richtig hielt, eine 
solche Möglichkeit überhaupt gar nicht zuzulassen. Ich habe den 
Eindruck, daß auch die Besetzung rein serbischen Territoriums ein 
derartiges Vorgehen Italiens noch nicht ohne weiteres auslösen würde-. 
Es würde nur die an sich schon nicht unverdächtigen Beziehungen 
Italiens zu Rußland verdichten. Dagegen würde ich es für außer- 
oidentlich erwünscht halten, wenn Österreich die Besetzung des 
Lowtschen, namentlich zunächst, vermeiden könnte. Ist das nicht 
möglich, so muß Österreich vorher hier Kompensationsanerbietungen 
machen. Denn die Besetzung des Lowtschen wird tatsächlich ganz 
Italien alarmieren und die Regierung unter Umständen weiter 
drängen als sie will. Man muß bei allen diesen Dingen im Auge 
behalten, daß dieses Kabinett weit, weniger stark und daher weit 
weniger widerstandsfähig ist als das Ministerium Giolitti. 
S. M. der König wird nach Lage der hiesigen parlamentarischen 
und demokratischen Verhältnisse nicht in der Lage sein, einen aus- 
•schlaggebenden Einfluß auszuüben; 
Wie schon gemeldet, vertrat Marquis di San Giuliano auf Grund 
der Fassung der österreichischen Note mit Nachdruck die These, daß 
-das Vorgehen Österreichs gegen Serbien ein aggressives sei, daß daher 
auch alle sich etwa ergebenden Einmischungen Rußlands und Frank¬ 
reichs den Krieg nicht zu einem defensiven machen würden, und 
1 Nach der Ausfertigung. 
2 Eingangsvermerk des Auswärtigen Amts: 27. Juli vorm. Randvermerk des 
Reichskanzlers vom 27. Juli: »S. M. vorgetragen B. H. 27.«, darunter der 
Vermerk des Kanzlers vom gleichen Tage: »S. M. hält es für unbedingt 
erforderlich, daß sich Österreich mit Italien rechtzeitig wegen der Kom¬ 
pensationsfrage verständigt. Das soll Herrn von Tschirschky zur Weiter¬ 
gabe an Graf Berchtold im ausdrücklichen Aufträge S. M. mitgeteilt 
werden. B. H. 27.« Siehe Nr. 267. 
:a Siehe Nr. 156. 
Aktenstücke!. !o 
Fiuggi, den 25. Juli 19141 2
	        
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