Volltext: Vom Attentat in Sarajevo bis zum Eintreffen der serbischen Antwortnote in Berlin (1 / 1919)

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Nr. 234 
Entwurf eines nicht Abgesandten Telegramms 
des Reichskanzlers an die Botschafter in Paris, London und 
Petersburg1 
Berlin, den 26. Juli 1914' 
Einzelne russische Stimmen betrachten es als selbstverständliches 
Recht und als die Aufgabe Rußlands, in dem Konflikt zwischen 
Österreich-Ungarn und Serbien aktiv für Serbien Partei zu ergreifen. 
Für die aus einem solchen Schritte Rußlands resultierende, europäische 
Konflagration glaubt die »Nowoje Wremja« sogar Deutschland ver¬ 
antwortlich machen zu dürfen, wofern es nicht Österreich-Ungarn 
zum Nachgeben veranlaßt. Die russische Presse stellt hiermit die 
Verhältnisse auf den Kopf. Nicht Österreich-Ungarn hat den Konflikt 
mit Serbien hervorgerufen, sondern Serbien ist es gewesen, das durch 
eine skrupellose Begünstigung großserbischer Aspirationen, auch in 
Teilen der österreichisch-ungarischen Monarchie, diese selbst in ihrer 
Existenz gefährdet und Zustände geschaffen hat, die schließlich in 
der frevelhaften Tat von Sarajevo ihren Ausdruck gefunden haben. 
Wehrt sich Österreich-Ungarn dagegen, so handelt es lediglich aus 
dem berechtigten Triebe der Selbsterhaltung. Wenn Rußland in 
diesem Konflikt für Serbien ein treten zu müssen glaubt, so ist das 
an sich gewiß sein gutes Recht. Es muß sich aber darüber klar 
sein, daß es damit die serbischen Bestrebungen auf Unterhöhlung 
der Existenzbedingungen der österreichisch-ungarischen Monarchie 
zu den seinigen macht, und daß es allein die Verantwortung dafür 
trägt, wenn aus dem österreichisch-serbischen Handel, den alle 
übrigen Großmächte zu lokalisieren wünschen, ein europäischer Krieg 
entsteht. Diese Verantwortung Rußlands liegt klar zu Tage und 
wiegt um so schwerer, als Graf Berchtold Rußland offiziell erklärt 
hat, es beabsichtige weder serbische Gebietsteile zu erwerben, noch 
1 Entwurf von der Hand des Reichskanzlers. Auf dem Entwurf des nicht- 
abgegangenen Telegramms die Notiz von Stumms Hand: »Cessat«. Dem 
Entwurf folgt, gleichfalls von der Hand des Kanzlers, der Entwurf eines 
Telegramms, das den Botschaftern in Wien, Rom und Konstantinopel 
den vorstehenden telegraphischen Runderlaß im Falle seiner Absendung 
mitgeteilt hätte. Weiter folgt der von Stumm niedergeschriebene nicht 
gezeichnete Entwurf zu dem telegraphischen Erlaß nach London: Was 
ein Sieg Rußlands in einem etwaigen Konflikt und ein allgemeines Vor¬ 
dringen des Slawentums für das europäische Gleichgewicht sowie für die 
politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Interessen ganz Westeuropas 
bedeuten würde, darüber wird sich die englische Regierung hoffentlich 
nicht im Unklaren sein.
	        
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