Volltext: Vom Attentat in Sarajevo bis zum Eintreffen der serbischen Antwortnote in Berlin (1 / 1919)

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matie in Fühlung stehe, und das sind nun beinahe 30 Jahre, kann 
ich mich erinnern, daß es hieß, Rußland sei nicht fertig, werde 
aber in einigen Jahren fertig sein, und daß der Generalstab beun¬ 
ruhigt sei. Und immer war es nicht fertig, wenn diese Jahre 
herankamen, und so wird es auch wohl in Zukunft sein. Ebenso 
habe ich immer wieder die Frage des sogenannten prophylaktischen 
Kriegs erörtern hören. Schon Bismarck stand diesem Gedanken 
sehr skeptisch gegenüber und sagte zu Waldersee und anderen 
Herren Militärs, die ihm die Notwendigkeit des prophylaktischen 
Krieges klar machen wollten, er könne sich ohne Beweise nicht 
überzeugen lassen, und Beweise konnte niemand ihm liefern. Ich 
glaube auch heute nicht, daß wir mit Rußland einen Krieg werden 
führen müssen, wenn unsere Politik geschickt geleitet wird, am 
allerwenigsten aber glaube ich, daß durch einen prophylaktischen 
Krieg etwas anderes zu erreichen wäre, als daß wir uns bestenfalls 
einen zweiten Nachbarn zum unversöhnlichen Feind gemacht 
hätten. 
Ich möchte aber nicht dahin verstanden werden, als ob ich 
etwa für eine Preisgabe Österreichs oder des österreichischen 
Bündnisses etwa zugunsten einer russischen oder gar einer eng¬ 
lischen Freundschaft eintreten wollte. Nichts liegt mir ferner. 
Die Erhaltung Österreichs ist für uns von größter Wichtigkeit, nur 
müssen wir bei dem Bündnis der leitende, nicht aber der 
leidende Teil sein. Das Bündnis war doch als eine gegen¬ 
seitige Versicherung gedacht gegen politische Wetterschäden, 
nicht aber als ein Zusammenschluß zu einer gemeinsamen poli¬ 
tischen Firma. Wir müssen Österreich zwar schützen, es liegt 
aber nicht in unserem Interesse, es bei einer aktiven Balkan¬ 
politik zu unterstützen, bei der wir alles zu verlieren und 
absolut nichts zu gewinnen haben. Welche Vorteile ver¬ 
sprechen Sie sich denn für uns davon, daß das österreichische 
Ansehen auf dem Balkan und sonstwo gestärkt werde? 
Österreichs Bundeswert beruht doch vor allem auf seiner militä¬ 
rischen Leistungsfähigkeit, nicht aber auf seinem auswärtigen 
Prestige, und unsere Machtstellung ist groß genug, um der Drei¬ 
bundgruppe auch trotz der diplomatischen Niederlagen des Grafen 
Berchtold Einfluß zu verschaffen. Was würden Sie dazu sagen, 
wenn England oder Rußland die Franzosen zur Wiederbelebung 
ihres doch tatsächlich sehr gesunkenen Ansehens zu einer aktiven 
und gefährlichen Auslandspolitik ermutigte? Gerade die verhält¬ 
nismäßige Schwäche Frankreichs und die Angst vor uns sind die 
Faktoren, die es veranlassen, sich an England und Rußland anzu¬ 
schmiegen und sich willfährig zu erweisen. Ähnlich ist es mit 
Österreich; ich will nicht sagen das geschwächte, wohl aber das 
geängstigte Österreich ist für uns ein bequemer Bundesgenosse, das 
Zurückgehen des österreichischen Einflusses auf dem Balkan hat 
sich bisher in sehr vorteilhafter Weise für unsere dortigen wirt¬
	        
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