Volltext: Vom Attentat in Sarajevo bis zum Eintreffen der serbischen Antwortnote in Berlin (1 / 1919)

Nr. 84 
Der Reichskanzler an den Kaiser1 
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Telegramm (ohne Nummer) Hohenfinow, 20. Juli 19141 2 
Ew. M. muß ich alleruntertänigst melden, daß Seine Kaiserliche 
Hoheit der Kronprinz entgegen den Höchst demselben erteilten und 
von ihm auch akzeptierten Ratschlägen neuerdings wieder mit tele¬ 
graphischen Kundgebungen an die Öffentlichkeit zu treten beginnt. 
So hat Seine Kaiserliche Hoheit in der letzten Woche sehr warme 
Zustimmungstelegramme an den Oberstleutnant a. D. Frobenius zu 
der von diesem verfaßten B/oschüre »Des Reiches Schicksalsstunde« 
und an den Professor Buchholz in Posen zu einer von diesem in 
Broschürenforrruvertriebenen Bismarckrede gerichtet. Frobenius weist 
zutreffend auf die schwierige Lage Deutschlands hin, gefällt sich 
aber gleichzeitig in alldeutschen kriegshetzenden Übertreibungen. 
Buchholz benutzt eine von glühendem Patriotismus getragene Huldi¬ 
gung vor dem großen Kanzler zu heftigen Angriffen auf die Männer, 
denen Ew. M. verantwortungsvolle Ämter übertragen haben. Beide 
Telegramme sind in der Presse veröffentlicht. Insonderheit dasjenige 
an Frobenius ist von der englischen, russischen und französischen 
Presse als Zeichen dafür angese! en worden, daß der Kronprinz sich 
in einem Gegensatz zu der Politik Ew. M. stelle, und daß er zum 
Kriege treibe. Aus zuverlässiger Quelle weiß ich aber auch, daß in 
den Regierungskreisen der Triple-Entente dieses Hervortreten des 
Kronprinzen als ein bedenkliches Symptom ernste Beachtung findet. 
Ich habe mir erlaubt, Seine K. Hoheit in einem längeren Briefe 
dringend zu bitten, von derartigen Kundgebungen abzusehen, die 
ohne Kenntnis der momentanen politischen Situation und der diplo¬ 
matischen Zusammenhänge abgefaßt, nur geeignet seien, die Politik 
Ew. M. zu kompromittieren und zu kontrekarrieren. Dabei habe 
ich auf die momentane gespannte Lage ausdrücklich hingewiesen. 
Ich habe keinerlei Sicherheit dafür, daß Seine K. Hoheit diese Bitte 
erfüllt, besorge vielmehr ernstlich, daß Höchst derselbe, wenn jetzt das 
österreichische Ultimatum an Serbien bekannt wird, mit Kundgebungen 
hervortreten möchte, die nach allem Vor an gegangenen von unseren 
Gegnern als gewollte Kriegstreiberei angesehen werden, während es 
doch nach Ew. M. Weisungen unsere Aufgabe ist, den österreichisch¬ 
serbischen Konflikt zu lokalisieren. Die Lösung dieser Aufgabe ist 
sehen an sich so schwierig, daß auch kleine Zwischenfälle den Aus- 
1 Nach dem Konzept. Vom Reichskanzler eigenhändig entworfen. 
2 Aulgegeben am 20. Juli 1215 nachm. 
3 Dazu am Rande der Vermerk der Reichskanzlei: »s. Sehr, des Graf Wedel 
vom 21. 7. er. mit d. Telegr. Sr. Maj. an d. Kronprinzen v. 21. 7. er. s. Tel. 
Sr. Ksl. H. des Kronprinzen vom 23. 7. 14.« (Nr. 105, 132, 133.)
	        
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