Volltext: Vom Attentat in Sarajevo bis zum Eintreffen der serbischen Antwortnote in Berlin (1 / 1919)

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lichkeiten sei antideutsch und seit der Beilegung der Limanfrage sei 
keine ernste Verstimmung wieder eingetreten. Hingegen gab Graf 
Benckendorff offen zu, daß ein starkes antiösterreichisches Emp¬ 
finden in Rußland hestehe. Es denke aber dort niemand daran, 
Teile von Österreich, wie etwa Galizien, erobern zu wollen. 
Ob angesichts dieser Stimmung es möglich sein würde, die 
russische Regierung beim österreichisch-serbischen Waffengange zur 
passiven Assistenz zu bewegen, vermag ich nicht zu beurteilen. 
Was ich aber glaube, mit Bestimmtheit sagen zu können, ist, daß 
es nicht gelingen wird, im Kriegsfälle die öffentliche hiesige Meinung zu¬ 
ungunsten Serbiens zu beeinflussen, selbst durch Heraufbeschwörung 
der blutigen Schatten Dragas und ihres Buhlen, deren Beseitigung 
vom hiesigen Publikum schon längst vergessen ist und daher zu 
den historischen Ereignissen gehört, mit denen, soweit außer¬ 
britische Länder in Frage kommen, man hier im allgemeinen weniger 
Vertrautheit besitzt, als bei uns etwa der durchschnittliche Quartaner. 
Ich bin nun weit entfernt, für eine Preisgabe unserer Bundes¬ 
genossenschaft oder unseres Bundesgenossen einzutreten. Ich halte 
das Bündnis, das sich in dem Empfindungsleben beider Reiche ein¬ 
gelebt hat, für notwendig und schon mit Rücksicht auf die vielen 
in Österreich lebenden Deutschen für die natürliche Form ihrer 
Zugehörigkeit zu uns. Es fragt sich für mich nur, ob es sich für 
uns empfiehlt, unseren Genossen in einer Politik zu unterstützen, 
bzw. eine Politik zu gewährleisten, die ich als eine abenteuerliche 
änsehe, da sie weder zu einer radikalen Lösung des Problems noch 
zu einer Vernichtung der großserbischen Bewegung führen wird. 
Wenn die k. u. k. Polizei und die bosnischen Landesbehörden den 
Thronfolger durch eine »Allee von Bombenwerfern« geführt haben, 
so kann ich darin keinen genügenden Grund erblicken, damit wir 
den berühmten pommerschen Grenadier für die österreichische 
Pandurenpolitik aufs Spiel setzen, nur damit das österreichische 
Selbstbewußtsein gekräftigt werde, das in diesem Falle, wie die Ära 
Ährenthal gezeigt hat, sich als vornehmste Aufgabe die möglichste 
Befreiung von der Berliner Bevormundung hinstellt. 
Sollte aber wirklich für unsere politische Haltung die Ansicht 
ausschlaggebend sein, daß nach Verabreichung des »Todesstoßes« an 
die großserbische Bewegung das glückliche Österreich, von dieser 
Sorge befreit, sich uns für die geleistete Hilfe dankbar erweisen 
wird, so möchte ich die Frage nicht unterdrücken, ob nach Nieder¬ 
werfung des ungarischen Aufstandes durch die Hilfe des Kaisers 
Nikolaus und die vielseitige Inanspruchnahme des Galgens nach 
Bezwingung der Ungarn bei Vilägos und unter der Oberleitung des 
kaiserlichen Generals Haynau die nationale Bewegung in Ungarn er¬ 
drückt wurde, und ob die rettende Tat des Zaren ein inniges und 
vertrauensvolles Verhältnis zwischen beiden Reichen begründet hat. 
Lichnowsky
	        
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