Volltext: Vom Attentat in Sarajevo bis zum Eintreffen der serbischen Antwortnote in Berlin (1 / 1919)

7° 
Nr. 45 
Der Staatssekretär des Auswärtigen an die Botschafter 
in Wien und Konstantinopel1 
Berlin, den 14. Juli 1914 2 
Zu Ew. Exz. vertraulichen Information: 
Graf Szögyeny las mir heute einen Erlaß des Grafen Berchtold 
vor, wonach dieser den Markgrafen Pallavicini darüber befragt hat, 
ob seiner Meinung nach die Türkei zum Anschluß an die europäi¬ 
schen Zentralmächte zu gewinnen wäre. Der Botschafter hat sich« 
ungefähr dahin ausgesprochen, daß in Konstantinopel zur Zeit eine 
gewisse Neigung, sich Rußland zuzuwenden, nicht zu verkennen 
wäre. Diese Tendenz werde durch ein reges Mißtrauen gegen I i alien 
wegen seiner den Türken verdächtigen Aspirationen in Kleinasien 
noch bestärkt. Zudem seien Rußland und Frankreich in Konstanli- 
nopel stark an der Arbeit. Am ehesten würde die Türkei an Öster¬ 
reich und den Dreibund Anlehnung suchen, wenn die Monarchie 
durch energisches und erfolgreiches Vorgehen gegen Serbien sich 
wieder eine entscheidende Stellung im Balkan sicherte. Hiejan an- 
knüpfend, hat Graf Berchtold den Grafen Szögyeny beauftragt, meine 
Ansicht darüber einzuholen, ob es nicht angezeigt erscheine, die 
Türkei schon jetzt zum Anschluß an die Zentralmächte zu bewegen. 
Ich habe erwidert, daß meiner Ansicht nach, die übrigens auch 
von dem k. Botschafter in Konstantinopel geteilt werde, die Türkei 
für die nächsten Jahre wegen ihrer schlechten Armee Verhältnisse nur 
als passiver Faktor angesehen werden könne. Zu einer aggressiven 
Haltung gegen Rußland wäre sie außerstande. Zudem würde sie, 
wenn wir ihr den Anschluß an unsere Gruppe vorschlügen, un¬ 
zweifelhaft auch ihrerseits Forderungen an uns stellen. Einen abso¬ 
luten Schutz gegen Angriffe Rußlands auf Armenien z. B. könnten 
wir ihr aber gar nicht gewähren. Ich glaubte, daß die Türkei in 
ihrer jetzigen Lage gar keine andere Haltung einnehmen könnte, 
als zwischen den Mächten hin und her zu pendeln, bzw. sich der 
stärkeren und erfolgreicheren Gruppe anzuschließen. Sollte Rumänien 
fest zum Dreibund stehen und etwa Bulgarien auch an unsere Gruppe 
Anschluß suchen, so würde das zweifellos auch auf die Haltung der 
Türkei Einfluß üben. Jetzt eine Demarche im Sinne der Anregung 
des Grafen Berchtold in Konstantinopel zu machen, erschiene mir 
zwecklos, wenn nicht — wegen der zu erwartenden und unerfüll¬ 
baren Forderung von Gegenleistungen — bedenklich. 
J ago w 
1 Nach dem Konzept von J agows Hand. 
2 Abgegangen nach Wien am 15., nach Konstantinopel am 17. Juli.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.