Volltext: Vom Attentat in Sarajevo bis zum Eintreffen der serbischen Antwortnote in Berlin (1 / 1919)

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Nr. 43 
Der Botschafter in London an das Auswärtige Amt1 
Telegramm 129 London, den 14. Juli 1914* 
Geheim! 
Ich habe bereits versucht, in diesem Sinne1 3 vertraulich und 
vorsichtig Fühlung zu nehmen, verspreche mir aber angesichts der 
bekannten Unabhängigkeit der hiesigen Presse derartigen Einwir¬ 
kungen gegenüber nur wenig Erfolg. Es wird schwer halten, die 
gesamte serbische Nation als ein Volk von Bösewichten und Mördern 
zu brandmarken und ihm dadurch, wie der Lokalanzeiger bestrebt 
ist, die Sympathien des gesitteten Europas zu entziehen; noch 
schwerer aber die Serben, wie eine amtliche Persönlichkeit dem 
Wiener Vertreter des Daily Telegraph gegenüber tut, auf dieselbe 
Stufe zu stellen mit den Arabern in Ägypten und in Marokko oder 
mit den Indianern in Mexiko. Es ist vielmehr anzunehmen, daß 
die hiesigen Sympathien sich dem Serbentum sofort und in lebhafter 
Form zu wenden werden, sobald Österreich zur Gewalt greift, und 
daß die Ermordung des hier schon wegen seiner klerikalen Nei¬ 
gungen wenig beliebten Tronfolgers nur als ein Vorwand gelten 
wird, den man benutzt, um den unbequemen Nachbarn zu schädigen. 
Die britischen Sympathien, namentlich aber die der liberalen Partei, 
haben sich in Europa meist dem Nationalitätenprinzip zugewandt, 
bei den Kämpfen der Italiener gegen die österreichische, päpstliche 
oder bourbonische Herrschaft, und haben bei Balkankrisen gewöhn¬ 
lich den dortigen Slawen gegolten. Sowohl während der Annexions¬ 
krisis als auch im vorigen Winter bei akuten Fragen neigte die 
hiesige öffentliche Meinung zur Parteinahme für Serbien und Mon¬ 
tenegro, und es wäre daher damals schwer gefallen, die britische 
Zustimmung zu einem energischeren Vorgehen gegen König Nikolaus 
zu erlangen. 
So sehr man also auch eine unnachsichtige strafrechtliche 
Verfolgung der Mörder begreifen wird, so wenig, fürchte ich, wird 
die öffentliche Meinung dafür zu haben sein, daß man die An¬ 
gelegenheit auf das politische Gebiet hinüberspielt und sie zum Aus¬ 
gangspunkt militärischer Maßnahmen gegen ein Volk von Ver¬ 
brechern macht. In diesem Falle dürfte auch das durch die innere 
Krise bereits geschwächte gegenwärtige Kabinett kaum die Kraft 
1 Nach der Entzifferung. 
2 Aufgegeben in London 14. Juli 555 nachm., angekommen im Auswärtigen 
Amt 843 nachm. Eingangsvermerk: 15. Juli vorm. 
3 Siehe Nr. 36.
	        
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