Volltext: Geschichte des Steirischen K. u. K. Infanterie-Regimentes Nr. 27 Band II (II. / 1937)

und Freiwillige füllten die Stände wieder aus. Doch das alles verlangte Zeit, und während 
vieler Monate hing das Schicksal Italiens an einem Faden. Man mußte damals mit der 
Möglichkeit rechnen, daß ganz Norditalien von den teutonischen Armeen überrannt werde, daß 
Italien aus dem Kriege ausscheiden müsse und daß die Entwicklung einer Schweizer Front 
den Franzosen aufgezwungen würde. Ein gnädiges Geschick ließ die Bäume nicht in den 
Himmel wachsen; und selbst die erfolgreichste Offensive erschöpft ihre ursprüngliche Kraft im 
Maße, als sie an Boden gewinnt. Was geschehen wäre, wenn Deutschland sich von Haus 
aus entschlossen hätte, diesen Ansturm mit 12 bis 14 weiteren, der zusammengebrochenen 
russischen Front entnommenen Divisionen fortzusetzen, ist eine Frage; Ludendorff hegte jedoch 
größere, ehrgeizigere Pläne, die, wie sich herausstellte, für sein Land verhängnisvoll werden 
sollten. Schon hatte der ungeheure Entschluß der deutschen Offensive vom Jahre 1918 von 
seinem Geiste Besitz ergriffen. Italien war nur ein .Nebenkriegsschauplatz', der vielleicht 
.die Knochen eines Pommerfchen Grenadiers' wert war, niemals aber die klassische Theorie 
der höchsten Kraftleistung gegen den stärksten Feind erschüttern durfte. Und doch wäre der 
Abfall der Großmacht Italien und seiner 40 Millionen Bevölkerung von der Sache der 
Alliierten zu diesem Zeitpunkt ein folgenschwereres Ereignis gewesen, als alle Triumphe 
vom 21. März 1918 K Italien zu überwältigen und sich dann einen allgemeinen Frieden zu 
sichern, wäre noch immer die sicherste Hoffnung der Zentralmächte gewesen. Es war ein ein¬ 
dringliches Gebot, daß Italien von Frankreich und England soweit nur möglich wieder aus¬ 
gerüstet würde. Der uns zur Verfügung stehende Uberschuß war so gering, unser eigener 
Bedarf so dringend, und der italienische Abgrund klaffte bedrohlich. In diesen schweren Tagen 
erschien eine Niederlage den schwer bedrückten Alliierten nicht als völlig ausgeschlossen." 
Überblickt man das Gesamtergebnis des gemeinsam erfochtenen großen Durch¬ 
bruchsieges — so urteilt der bekannte GLt. Otto v. Moser * —, dann ist man 
erstaunt, von alledem nur eine so geringe politische, strategische und moralische 
Wirkung im In- und Auslande feststellen zu können. Politisch ließ die rasche Hilfe 
der Entente und die vorbildliche, aufrechte Haltung des italienischen Ministerprä¬ 
sidenten Orlando die zu erwartende große Wirkung trotz aller staunenden Bewun¬ 
derung über die gewaltige Schlagkraft der Verbündeten nicht aufkommen. In das 
Strategische führt ein dritter Grund hinüber: das Ausbleiben des im Grunde doch 
von aller Welt erwarteten und auch von Cadorna befürchteten gleichzeitigen Gro߬ 
angriffes aus der Trentiner Fronte Auch GFM. v. Hindenburg war nach feinem 
eigenen Zeugnis — „Der große Sieg war schließlich doch unvollendet geblieben" — 
mit dem strategischen Ergebnis der venetianischen Operation nicht zufrieden. Nach 
der moralischen Seite hin wurde das Ereignis in der Doppelmonarchie als eine 
gewisse seelische Erleichterung empfunden, im übrigen ging der Sinn der Massen 
vor allem nach Frieden zur Beendigung des fast unerträglich gewordenen Ent- 
behrens. Das deutsche Volk aber horchte aus die während der ganzen italienischen 
Operation wütende dritte Flandernschlacht. „Und dorthin blickte auch bald nach 
Caporetto wieder die ganze Welt. Dadurch aber wurde nur wiederum an einem 
besonders anschaulichen Beispiel die alte, durch nichts zu erschütternde Lehre den 
1 Beginn der Großen Schlacht in Frankreich. 
* GLt. Otto v. Moser, Ernsthafte Plaudereien über den Weltkrieg (eine kritische, militär¬ 
politische Geschichte des Krieges), 225, 226. 
3 Gen. Ludendorfs spricht sich rückblickend in seinem Buche „Kriegführung und Politik" 
über die Aussichten eines mit der Isonzooffensive gleichzeitig geführten Tiroler Angriffes 
im Herbste 1917 zwar nicht absprechend, aber doch sehr vorsichtig aus: „Wären wir 1917 in 
der Lage gewesen, mit starken Kräften überraschend aus Tirol anzugreifen, so hätte das 
italienische Heer vielleicht entscheidend geschlagen werden können." Im übrigen dachte er 
auch für den Fall einer siegreichen Schlachtentscheidung, ähnlich wie Falkenhayn, recht 
skeptisch über die daran zu knüpfenden Hoffnungen auf einen Sonderfrieden mit Italien, 
glaubte auch dann nur an eine eventuelle Entlastung der deutschen Westfront durch britische 
und französische Abgaben für das geschlagene italienische Heer. Desgleichen hielt GFM. v. Hin¬ 
denburg eine Absprengung Italiens von der Entente für „ausgeschlossen". 
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