Feldheer mit einem wuchtigen Hiebe die Isonzoverteidigung zerschlagen werde, um
den Weg zu den erträumten Gebieten frei zu machen und sich jene, auch vom
moralischen Standpunkte nicht hoch genug zu wertenden Angriffserfolge zu sichern,
die Volk, Armee und letzten Endes die Entente, besonders der in diesen Tagen
hart bedrängte Moskowiter, von ihm erhofften.
Wider alles Erwarten ließ sich der neu auf den Plan tretende Feind mit der
Annäherung an die Isonzolinie wie überhaupt an die meisten grenznahen Ge¬
biete, in denen der Italiener auf nachhaltigeren Widerstand zu stoßen vermutete,
unverhältnismäßig viel Zeit. Gegen den unteren Isonzo und den Görzer Brücken¬
kopf fühlte er erst am 27. Mai vor, an welchem Tage ein gegen den Eckpfeiler der
Isonzofront, den Mt. Sabotino, gerichteter Handstreich zum völligen Mißlingen
verurteilt war.
Das Ende des Monates Mai war herangekommen. 50 Bataillone und 40 Bat¬
terien der k. u. k. 5. Armee waren inzwischen unmittelbar am Isonzo ohne
nennenswerte Störung auswaggoniert worden. Alle Truppen machten sich sofort
mit regstem Eifer daran, die vorne am Isonzo improvisierte Verteidigungslinie
technisch auszugestalten.
Der Tiefpunkt war überschritten. Alle Anzeichen deuteten jedoch darauf hin,
daß der entscheidungsuchende Schlag der mit „Methodik" arbeitenden italienischen
Kriegführung gegen den gangbareren Südteil der Isonzofront nach deren syste¬
matischer Zernierung von Tag zu Tag zu erwarten war.
Ganz im Gegensatze zur zurückhaltenden Kriegseröffnung Italiens entboten
Österreich-Ungarns blaue Jacken schon am 24. Mai der Ostküste der Apenninen¬
halbinsel ihren donnernden Morgengruß. Kaum war am Vorabende die Kunde
von Italiens Kriegserklärung im Kriegshasen Pola eingelangt, lichtete nahezu
die gesamte k. u. k. Kriegsflotte die Anker. Nachtsüber durchquerte sie die Adria.
Das Gros dampfte Ancona, dem italienischen Kriegshafen, entgegen. Um 4 Uhr
morgens fiel der erste Schuß in den Hafen, das nun folgende machtvolle Bom¬
bardement der vor Stadt und Hafen kreuzenden Einheiten einleitend. Marine¬
flieger stießen weit hinein ins Festland. Binnen einer Stunde war vor Ancona
die scharfe, allen militärisch wichtigen Objekten geltende Schießübung glänzend
durchgeführt. Kleinere Schiffseinheiten hatten an anderen Punkten der italienischen
Ostküste den noch schlaftrunkenen Küstenbewohnern die Bedeutung des Kriegszu¬
standes unvermittelt zum Bewußtsein gebracht. Zahlreiche Objekte der entlang der
Ostküste führenden Adriabahn wurden gründlich zerstört. Die über den Misafluß
führende Brücke brach, schwer getroffen, zusammen, als sie eben ein Transport
passierte. Die feindliche Gegenwirkung war kaum zu fühlen. Die italienische Flotte
blieb so gut wie unsichtbar. Der schneidige Raid war von eindrucksvoller mora¬
lischer Wirkung.
Hatten es die verbündeten Mittelmächte als eine Gunst des Schicksals buchen
dürfen, daß Italien erst drei Wochen nach Gorlice in den Kampf eintrat, so war
die bis zum letzten Tag erstreckte Ausnützung der Frist, die sich das apenninische
Königreich in den Londoner Abmachungen für sein bewaffnetes Auftreten aus¬
bedungen hatte, von der Entente, zumal von Rußland, nicht zu Unrecht als schwerer
Nachteil empfunden worden. Die Geduld der neuen Bundesgenossen Italiens sollte
aber noch weitere Wochen auf die Folter gespannt werden, ehe es zum Zusammen¬
stoß der Hauptkräfte kam. Zunächst entwickelte sich nur eine Reihe von Grenz-
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