Um 4 Uhr nachmittags schlägt die Aufbruchsstunde in Dynöw, dem von Kosaken
zwei Wochen hindurch heimgesuchten Städtchen am San. Das Regiment, Vorhut
der 28. ID., schloß an das IX. Korps an, das nach Erreichen von Dubiecko gegen
Nordost abbog, so daß das Regiment im weiteren Verlaufe die Korpstete bildet.
Ein quälender Marsch aus maltraitierter Straße, auf der Mensch und Roß
nebeneinander sich vorwärtsschieben. Ein schlammiger Brei zermürbt erbarmungslos
das Schuhwerk, das kaum noch diese anspruchsvolle Bezeichnung verdient, steigert
die Zahl der die endlose, kotüberkrustete Menschenwalze verlassenden, in den
Straßengräben hinsinkenden Männer. Stunde aus Stunde windet sich diese Riesen¬
schlange dahin.
Endlich, gegen 2 Uhr morgens, nach zehnstündiger Marschqual, ist das Ziel
erreicht. Es ist Krzywcza, ein armseliger Ort am San, an der Przemysler Straße,
an die 20 km westlich der Festung. Aber für die beiden Vortrabbataillone gibt es
keine Rast. Weiter ostwärts geht es auf der Straße, die das III. Baon. quer über
eine Höhe 2 km östlich des Ortes sperrt. Das I. Baon., eng massiert, dahinter. In
Krzywcza kantoniert nur das II. Baon., das seit 8. Oktober nach der Erkrankung
des Mjr. Siegl von Hptm. Strobl geführt wird, mit der Regimentspionier- und
Telephonabteilung. Das IV. Baon. biegt noch nordostwärts zum Meierhose bei
Wola Krzywiecka ab, wo es nach 3 Uhr früh landet, gefolgt vom gleichfalls
erschöpften II./47. Baon., von dem mehr als die Hälfte zurückgeblieben, übel setzt
die stürmische Regennacht den beiden auf offener Straße ohne jeglichen Schutz die
Sicherung besorgenden Bataillonen zu. Zum Glücke spenden die Fahrküchen heißen
Trank. Vom Feinde nichts zu sehen, nichts zu hören. Nachrichten wollen wissen, der
Russe wäre schon aus dem Bereiche der Festung gegen Iaroslau gewichen. Um 8 Uhr 10.10.
morgens des 10. Oktober werden die Vorposten eingezogen, und eine Stunde
später geht es wieder drauflos, von Krzywcza nordostwärts durch nebelver¬
hangenes, waldiges Hllgelgelände gegen Rokietniea, auf morastigem Waldwege,
der in einer Gefahren bergenden Steile den Bukowy Garb (Kote 426) erklimmt.
Artillerie und Train stecken in dieser gottverlassenen Wegsteile. Die Kameraden
des todmüden Fußvolkes sind hilfreich daran, Geschütz und Fuhrwerk aus dem
Morastschlauch über die teuflische Höhe, die sich Mensch und Tier entgegenstemmt,
zu ziehen. Obwohl die Artillerie versuchte, geschützweise mit je zwölf Pferden vor¬
wärtszukommen, war alle Mühe umsonst, die Geschütze über die Höhe zu bringen.
Artillerie und Trains suchen diesem verruchten Walde zu entfliehen und holen
nordwärts über Wegierka aus. Aber unter unsäglichen Mühen: es vergeht der
ganze 10., der Großteil des 11. Oktober, bis wenigstens die Artillerie flott¬
gemacht ist.
Der Regimentstrain mit den Fahrkllchen unter Führung des ProvOfszGehilfen
Plesko, der gleich allen anderen Truppentrains über ausdrücklichen Befehl des
Korpskommandanten der Artillerie Platz machen mußte, erreicht erst am 12. Ok¬
tober gegen 7 Uhr abends Rokietniea, zu einer Zeit, als das Regiment bereits bei
Radymno am San angelangt war und Quartiere in Oströw bezog.
Dieser übergroßen Anstrengung von Mensch und Tier waren sich die höheren
Kommanden vollauf bewußt. Kam es doch aus ein unaufhaltsames Vorgehen des
Nordflllgels der 3. Armee an, um den abziehenden Feind noch zu fasten und ihm
womöglich den Rückzug über den Sanfluß abzuschneiden und durch raschen Zugriff
sich der Sanbrücken bei Iaroslau, Radymno zu bemächtigen.
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