Volltext: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Vierter Band. (4 ; 1921)

Der Angriffsplan 
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noch weiter zu schwächen. Traten Kuropatkin und Everth dann in der Staffel 
zum entscheidend gedachten Angriff an, so mußte nach Schilinskys, Alexe- 
jews, Kuropatkins und Brussilows Überzeugung die deutsche Ostfront, die 
jeder Möglichkeit operativer Gegenwirkung entbehrte, unfehlbar zusammen¬ 
brechen. Die Verankerung im Stellungskrieg mit angelehnten Flanken 
hatte ja die Deutschen ihrer Überlegenheit im Felde beraubt. Sie mit blinder 
Stoßkraft niederzuwerfen war russisch. Suworows Geist schwebte über den 
Entwürfen Alexejews. 
Nie ist ein größerer Plan gefaßt worden. Trug er auch wie alles, was 
der gern ins Aferlose geratende Russe sinnt, phantastische Züge, so wohnte 
ihm doch angesichts der Schwächung der österreichisch-ungarischen Front 
die Wahrscheinlichkeit eines größeren Erfolges inne. 
London, Paris und Rom harrten des russischen Vormarsches in atem- 
loser Spannung. Lord Kitchener, der durch den Fall Kut-el°Amaras schwerer 
getroffen war als durch die Niederlage auf Gallipoli, stieg zu Schiff, um 
selbst nach Rußland zu fahren und der Eröffnung der Offensive beizuwohnen. 
Als der Kreuzer „Lampshire", der ihn und seinen Stab nach Murman 
bringen sollte, am 5. Juni in der Nähe der Orkneyinseln auf eine deutsche 
Mine stieß und der Organisator der britischen Freiwilligen-Armee den 
Tod im Meere fand, hatte Brussilow schon das Zeichen zum Angriff 
gegeben. 
Vom 31. Mai bis 3. Juni tobte die Artillerieschlacht, die Brussilows 
Armeen die Bahn freischlagen sollte. Vier Armeen standen bereit. Am 
rechten Flügel war die 8. Armee, deren Führung General Kaledin aus 
Brussilows Länden übernommen hatte, am Anterlauf des Styrflusses und 
im wolhynischen Festungsdreieck aufmarschiert. Von Rowno bis Tarnopol 
stand die 7. Armee unter dem BefehlScherbatschews im Felde. Von Tarno- 
pol bis zur Serethmündung kämpfte General Sacharows 11. Armee, und am 
äußersten linken Flügel wartete die 9. Armee unter dem Befehle Leschitzkis 
darauf, von Chotin gegen Czernowitz vorzugehen. Linier Leschitzkis 
Fußvolk hielten 30 Dragoner-, Lusaren- und Kosakenregimenter unter 
General Grafen Keller mit dem Fuß im Bügel, um in die Bukowina ein- 
zufallen. Brussilow rüstete also zu einem allgemeinen Angriff auf die Wehr¬ 
stellung der Österreicher. Ob diese brüchig war und wo sie seinem Sturm 
nachgab, mußte die Zukunft lehren. Vielleicht war es nur eine gewaltsame 
Erkundung größten Stils, mit vier Armeen aus 350 Kilometern Breite 
ausgeführt, auf die das schöne Wort aus Napoleons strategischem Brevier 
zutrifft: „0n s’engage partout et puis on voit“, aber es handelte sich un¬ 
beschadet dieser Kennzeichnung doch wohl eher um einen Einbruch ins 
Dnjestr- und Pruthtal, als um einen Durchbruch auf Kowel oder Brody, | 
denn an Dnjestr und Pruth winkten nähere Ziele und reiften bestimmte : 
politische L offnungen. 
Stegemanns Geschichte des Krieges IV 5 
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