Volltext: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Vierter Band. (4 ; 1921)

658 Die Feldzüge im Westen und im Orient 
stände, wurde der Fürst weder durch eigene Entschlußkraft noch durch seine 
Umgebung getrieben. Die geschichtliche Entwicklung war über ihn hin- 
weggeschritten. Als im Innern des Reiches Matrosenputsche und Aufläufe 
stattfanden, in denen die rote Fahne geschwenkt wurde, als die Besatzungen der 
Lochseeslotten sich weigerten, zu einem Ausfall gegen die englische Küste aus- 
zulaufen, als in: Ordnungsdienst dasMilitär nicht mehr schoß und dieRegierung 
mit der Straße paktieren mußte, blieb ihm nichts übrig, als abzudanken. 
Trotzdem traf ihn diese Tatsache völlig überraschend. 
Kaiser Wilhelm hatte den Krieg weder gewollt noch geführt, hatte im 
Kriege nie Entscheidungen gefällt, die ihm nicht vorgezeichnet worden wären, 
und wartete nach dem Erlaß, der die wichtigsten Kronrechte in die Lände 
der Nation gelegt hatte, im großen Lauptquartier des letzten Kanonen¬ 
schusses. Er dachte nicht daran, daß das Treueverhältnis des Leeres zu 
ihn: gelitten haben und daß die einst auf dem Schlachtfeld geschmiedete 
Kaiserkrone erblindet sein könnte. 
Als General Gröner am 8. November zur Überzeugung kam, daß das 
Leer nicht mehr fest zu dem obersten Kriegsherrn stehe und daß die Re- 
solution im Innern des Reiches nicht aufzuhalten sei, wurde ein Kriegsrat 
einberufen, um die Lage zu klären. Kaiser Wilhelm sah sich plötzlich vor 
dm Entschluß gestellt, abzudanken oder auf Berlin zu marschierm, wenn er 
es nicht vorzog als ,,prince connétable" mit seinen Gardes du corps in 
den Tod zu reiten. Der Kaiser entschloß sich nach heftigem Meinungs¬ 
kampf, das Leer zu verlassen. 
Zu gleicher Stunde — es war in der Frühe des 9. November — tagte 
in Berlin das Kabinett, das die Abdankung des Monarchen für unum¬ 
gänglich gehalten hatte, um das Volk und sich zu retten. Es kam zu einer 
ttagischen Verknotung der Vorgänge. Noch ehe der Kaiser sich zu einem 
Entschluß durchgerungen hatte, verkündete Prinz Max angesichts des 
Andranges der Sttaße die Abdankung des Kaisers und den Thronverzicht 
des Kronprinzen. Die Fernsprechmeldung des Kriegsrats, daß der Kaiser 
den Bürgerkrieg vermeiden und sich vom Throne zurückziehen wolle und 
die Mitteilung des Kabinetts, daß Prinz Max sich genötigt gesehen habe, 
die Abdankung bereits bekanntzugeben, kreuzten sich im Schallrohr der 
Leitung. Kaiser Wilhelm begab sich gleich dem Kronprinzen, der vergebens 
gebeten hatte, ihn an der Spitze seiner Leeresgruppe zu lassm, nach Lolland. 
Dott fand der Enkel Kaiser Wilhelms I. und der Königin Viktoria Auf¬ 
nahme und Asyl. 
Seine Abreise bewahrte Deutschland nicht mehr vor dem Amsturz. 
Ein Versuch des Prinzen Max, die Sozialdemokratie zur Äbernahme der 
Macht zu bewegen, ohne ihr die Monarchie und die Verfassung auszuliefern, 
schlug fehl. Am 11. November verkündete Philipp Scheidemann die 
Republik. Die sozialistischen Patteien bildeten eine provisorische Regie¬
	        
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