Volltext: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Vierter Band. (4 ; 1921)

48 Der Feldzug im Osten vom 14. Nov. 1915 bis 31. Aug. 1916 
Rechenschaft. Als Falkenhayn im Januar den Befehl zum Angriff auf 
Verdun gab, sah sich Lindenburg zum Stillsitzen verdammt und der Möglich- 
keit beraubt, die Drohung durch einen kräftigen Ausfall abzuwenden. Zwar 
schien die Front der Verbündeten von Czernowitz bis Mitau wohl gesichert, 
aber sie war fortan zur Abwehr verurteilt, und den Russen war die Frei¬ 
heit des Landelns zurückgegeben. Ob den Armeen des Zaren damit auch 
die Kraft zum Landein zuwuchs, mußte die Zukunft lehren. 
Weder Österreicher noch Deutsche besaßen im Osten strategische Reserven. 
Die freigewordenen deutsche Kräfte fochten bei Verdun, die österreichischen 
Kerntruppen rückten nach Südürol. Rur wenn die Entscheidung vor Verdurr 
so rasch fiel, daß der Russe nicht dazukam zum Schlag auszuholen, war 
jede Gefahr im Osten beschworen, denn dann war Lindenburg, war Prinz 
Leopold von Bayern imstande, dem Feind unbesorgt um Flanke und Rücken, 
entgegenzutreten. Dann waren die Führer der deutschen Leeresgruppen 
im Osten wohl auch in der Lage, den Österreichern vom Fleck weg Lilfe 
zu bringen, wenn die Russen in Wolhynien oder in der Bukowina zum 
Angriff schritten. An die Wiederaufnahme des im September vor Wileika, 
im Oktober vor Rowno steckengebliebenen Angriffsfeldzuges war freilich 
auch" dann nicht zu denken. 
Der letzte große strategische Gedanke, die Äberflügelung und Umfassung 
der russischen Nordarmeen, der im September zu spät Gestalt angenommen 
hatte, um zur Zertrümmerung des russischen Nordflügels, zur Eroberung 
von Minsk und zur Wegnahme der Dünalinie zu führen, war nicht mehr 
zum Leben zu erwecken. Selbst zu einem gewaltsamen Angriff auf Riga 
über den vereisten Tirulsumpf und die Düna fehlten die Kräfte. 
Lindenburg hatte sich darauf beschränken müssen, in seinem Befehls« 
bereich die Verteidigung auf feste Füße zu stellen. Das war nicht nur in 
der Front geschehen, wo Grabenanlagen geschaffen, Feldbahnen gebaut und 
taktische Reserven ausgeschieden worden waren, sondern auch im Linter- 
land, das von Ludendorff zu kriegerischen Zwecken musterhaft organisiert 
und mit straffen Verwaltungen ausgestattet wurde. Als „Land Ober- 
Ost" wurden Kurland, Litauen und Nordpolen der Kriegführung dienst¬ 
bar gemacht. Ludendorff, der im Oktober 1914 Polens Bahn- und Straßen¬ 
netz zerstört hatte, um den Rückzug auf die Warta zu sichern, wurde hier 
zum Gestalter. Er ließ Wege, Bahnen, Kanäle, Forsten, Weiden und Felder 
pflegen, gab dem Lande neue Gesetze und ordnete das Leben und die Tätigkeit 
von 3 Millionen Menschen nach den Gesichtspunkten der Kriegführung, 
ohne sie allzusehr zu vergewaltigen. Das Land Ober-Ost umfaßte 109000 
Quadratkilometer und lag hinter den Lindenburgischen Limen in guter Lut. 
Lindenburgs Befehl reichte von der See bis zu den litauischen Seen. 
Von der Beresina bis zum Unterlauf des Stochod befehligte Prinz Leopold 
von Bayern.
	        
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